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Hausarzt oder Amtsarzt: Wer beim Masernschutz-Attest das letzte Wort hat

Immer wieder erreichen ÄFI die Anfragen besorgter Eltern, ob ein Masernschutz-Attest des Haus- oder Facharztes vom Gesundheitsamt anerkannt werden muss. Entscheidend sind hier die Vorgaben, die das Infektionsschutzgesetz für ärztliche Zeugnisse beim Masernschutz macht, und wie die Rechtsprechung diese auslegt.

Reicht das Zeugnis des Hausarztes in jedem Fall für die Feststellung des Masernschutzes? Oder kann der Amtsarzt hierbei den Hausarzt sozusagen „überstimmen“? Solche Fragen besorgter Eltern, die den Anforderungen des Masernschutzgesetzes genügen sollen, für ihr Kind aber eine Masernimpfung ablehnen, erreichen die Ärztinnen und Ärzte für individuelle Impfentscheidung e. V. (ÄFI) immer wieder.

Laut Infektionsschutzgesetz (IfSG) wird als Nachweis ausreichenden Masernschutzes für betreute Kinder wie für das Personal „ein ärztliches Zeugnis darüber, dass bei ihnen eine Immunität gegen Masern vorliegt oder sie aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht geimpft werden können“ (§ 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 IfSG), anerkannt.

Nähere Vorgaben macht das Gesetz nicht. Daraus folgt in Bezug auf den Ausstellenden:

  • Es kommt ein ärztliches Zeugnis jedes Arztes in Frage.
  • Es muss kein Facharzt eines bestimmten Fachgebietes sein.
  • Es muss kein Amtsarzt sein.
  • Das Attest eines Heilpraktikers reicht nicht aus.

Die amtsärztliche Bewertung ist also nicht per se höherwertig als die eines Haus- oder Facharztes. Jedoch ist der Amtsarzt nicht verpflichtet, das ärztliche Attest eines anderen Mediziners in jedem Fall anzuerkennen.

Anforderungen an ärztliche Atteste zum Masernschutz

Hier kommt es vielmehr auf die Frage an, wie die Rechtsprechung die Anforderungen des IfSG an das ärztliche Zeugnis auslegt. Im Lauf der Zeit haben die Gerichte für den Masernschutz konkrete Vorgaben zum Inhalt eines solchen ärztlichen Zeugnisses gemacht.

Da für eine Immunität gegen Masern Impfbescheinigungen und Laborbefunde (sog. „Titerbestimmung“) angeführt werden können, drehen sich die richterlichen Entscheidungen in der Regel um die Bescheinigung einer medizinischen Kontraindikation, die einer Impfung entgegenstehen.

Demnach muss ein Attest, dass die Masernimpfung aus medizinischen Gründen verbietet, wenigstens solche Angaben zur Art der medizinischen Kontraindikation enthalten, die das Gesundheitsamt in die Lage versetzen, dieses Attest auf Plausibilität hin zu überprüfen.

Nicht ausreichend ist ein ärztliches Attest, das lediglich den Gesetzeswortlaut wiederholt und sich insoweit auf die bloße Behauptung beschränkt, dass eine medizinische Kontraindikation vorliege.

Gesundheitsamt kann ärztliches Attest zurückweisen

Und hier kommt das Gesundheitsamt (bzw. der Amtsarzt) ins Spiel: Es gehört zur Aufgabe und Befugnis des Gesundheitsamtes, die Regelungen des Masernschutzes zu kontrollieren. Dazu zählt auch, ein ärztliches Zeugnis als im Sinne des Gesetzes gültigen Nachweis anzuerkennen oder nicht.

Hat also der Amtsarzt Zweifel am Attest eines anderen Arztes, kann er es zurückweisen und sogar eine ärztliche Untersuchung im Hinblick auf die medizinische Kontraindikation anordnen.

Wenn das Gesundheitsamt ein ärztliches Zeugnis über eine medizinische Kontraindikation nicht anerkennt, wird es eine Anordnung treffen, einen gesetzeskonformen Nachweis vorzulegen, oder es wird ein Bußgeldverfahren einleiten. Gegen diesen Verwaltungsakt oder den Bußgeldbescheid können dann Rechtsmittel eingelegt werden. Im Rahmen dieser Verfahren prüfen die Gerichte dann – inzident – ggf. unter Hinzuziehung eines Sachverständigen, ob das ärztliche Zeugnis die Voraussetzungen eines Nachweises im Sinne des IfSG erfüllt oder nicht.

Rechtsprechung: Ärztliches Zeugnis über eine Kontraindikation

Nachfolgend einige Beispiele aus der Rechtsprechung zum Thema „Ärztliches Zeugnis über eine Kontraindikation“:

  • „Das Attest muss daher wenigstens solche Angaben zur Art der medizinischen Kontraindikation enthalten, die das Gesundheitsamt in die Lage versetzen, das ärztliche Zeugnis auf Plausibilität hin zu überprüfen. Nicht ausreichend ist ein ärztliches Attest, das lediglich den Gesetzeswortlaut des § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG wiederholt und sich insoweit auf die bloße Behauptung beschränkt, dass eine medizinische Kontraindikation vorliege. (…) Ein inhaltlich unrichtiges oder nicht plausibles Attest erfüllt daher die Vorlagepflicht nicht.“ (VG München, Beschluss v. 02.01.2024 – M 26b S 23.5250)
     
  • „[Das ärztliche Zeugnis] muss vielmehr wenigstens solche Angaben zur Art der medizinischen Kontraindikation enthalten, die das Gesundheitsamt in die Lage versetzen, das ärztliche Zeugnis auf Plausibilität hin zu überprüfen (…). Hierfür sprechen neben dem Zweck der Regelung, eine ausreichend hohe Impfquote zu erreichen und hierfür u. a. dem Gesundheitsamt eine Grundlage für das weitere Vorgehen (z. B. in einem Beratungsgespräch nach § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG) zu geben, auch systematische Erwägungen, denn das IfSG unterscheidet auch an anderer Stelle die schlichte Bescheinigung vom Nachweis durch ein ärztliches Zeugnis (vgl. etwa § 43 Abs. 1 Satz 2 IfSG).“ (BayVGH, Beschluss v. 07.07.2021 – 25 CS 21.1651)
     
  • „Insbesondere durch die auffallend pauschale Angabe in dem ärztlichen Zeugnis, dass der Antragsteller von jeglicher Impfpflicht und anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe ab sofort und zeitlich unbegrenzt freizustellen ist, ohne Rücksicht darauf, um welche Art von Impfstoff es sich handelt, führt zu erheblichen Zweifeln an der Verwertbarkeit dieses Zeugnisses.“ (VG Meiningen, Beschluss v. 10.11.2020 - 2 E 1144/20)
     
  • „Bei dem vorliegenden ärztlichen Zeugnis handelt es sich um ein Formblatt, in das lediglich der Name des Sohnes der Antragsteller, dessen Geburtsdatum und dessen Adresse eingetragen sind. Letztendlich wird lediglich der Gesetzeswortlaut wiederholt, wonach eine Kontraindikation bestehe. Eine irgendwie geartete und nachvollziehbare Begründung für diese Kontraindikation wird nicht gegeben (…).“ (VG Regensburg, Beschluss v. 19.07.2023 – RN 5 S 23.1198)
     
  • „(…) dass das vorgelegte privatärztliche Gutachten (…) keine abschließende Beurteilung enthält und ohne körperliche Untersuchung des Patienten erstellt wurde, offensichtlich kein geeignetes ärztliches Zeugnis i.S.v. § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG ist.“ (VG Regensburg, Beschluss v. 20.12.2023 – RN 5 S 23.2196)

Solange das Gesundheitsamt – oder im Klagefalle das Gericht – ein vorgelegtes ärztliches Zeugnis nicht als solches nach dem IfSG anerkennt, bleibt der Betroffene seine Nachweispflicht schuldig und muss mit den Konsequenzen nach dem IfSG rechnen.

Es bleibt dann nur, den weiteren Rechtsweg zu beschreiten (z. B. auf Anerkennung eines ärztlichen Zeugnisses über das Vorliegen einer Kontraindikation) oder die Maßnahmen (z. B. Zahlung eines Bußgeldes) zu akzeptieren.

 


Juristische Fachberatung: Jan Matthias Hesse, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht (Rechtsanwälte Keller & Kollegen)

 

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