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Polio (Kinderlähmung)

Wie häufig treten Komplikationen und Folgeerscheinungen bei einer Polio-Infektion auf? Was ist die vakzinassoziierte Poliomyelitis (VAPP)? Ist eine Eradikation bei Polio möglich und wenn ja, bis wann? In welchen Ländern ist Polio noch endemisch? Wie sieht die aktuelle STIKO-Empfehlung aus? 

Antworten auf diese und weitere Fragen finden Sie im nachfolgenden Fachbeitrag.

Vorbemerkung:

Die folgenden Ausführungen dienen der Information und ersetzen keinesfalls das ärztliche Beratungsgespräch. Hier werden Fakten präsentiert, die Eltern wie auch Ärztinnen und Ärzten in einem Aufklärungsgespräch helfen können. Ärztinnen und Ärzte für individuelle Impfentscheidung e. V. (ÄFI) übernimmt keine Garantie für Vollständigkeit, hat die hier verfügbaren Inhalte jedoch nach bestem Wissen und Gewissen am aktuellen Fach- und Sachstand zusammengetragen. Über die wissenschaftliche Arbeit des Vereins erfahren Sie hier mehr. Der Fachbeitrag wird jährlich aktualisiert. Das dargelegte Wissen entspricht dem Kenntnisstand zum angegebenen Veröffentlichungs- bzw. Aktualisierungsdatum. Weitere Informationen erhalten Sie auch in unserem Podcast.

Auf einen Blick:

Infektionsverlauf

Anteil asymptomatischer Fälle > 95 % (bei Kindern etwa 70 %, da es häufiger zu einem biphasischen Verlauf kommt); drei unterschiedliche symptomatische Verläufe – abortive, nicht-paralytische und paralytische Poliomyelitis; bei schweren Verläufen Post-Polio-Syndrom möglich

Epidemiologie

Verabreichung von Impfstoffen hat weltweit zur Verringerung der Fälle um 99 % Prozent und der Eradikation der Serotypen 2 und 3 geführt (mittlerweile tritt nur noch Typ 1 in wenigen endemischen Ländern auf)

Mortalität

Bei paralytischer Poliomyelitis liegt die Fallsterblichkeit bei 2 bis 5 % für Kinder und 15 bis 30 % für Jugendliche und Erwachsene

Schutzwirkung der Impfung

Je nach Impfstofftyp gibt es Vor- und Nachteile: orale Lebend-Impfstoffe (OPV) induzieren eine Herdenimmunität, können aber zur Verbreitung von impfstoffassoziierter Poliomyelitis (VAPP) führen, Nicht-Lebend-Impfstoffe (IPV) haben dieses Risiko nicht, führen aber auch zu keiner Herdenimmunität

Impfstrategie

Die Möglichkeit erneuter Polio-Fälle in Deutschland ist wegen der Limitationen der IPV nicht auszuschließen – auch wenn die Fallzahlen durch die Impfstoffe eine baldige Eradikation des Wildtyps ermöglichen, bleibt die Frage, wie VAPPs verhindert werden

Mögliche Adjuvantien

Bei IPV Aluminiumhydroxid und Aluminiumphosphat

STIKO-Empfehlung

Säuglinge, Kinder und Jugendliche sollen mit dem IPV-Impfstoff geimpft werden, Jugendliche und Erwachsene zudem eine Auffrischimpfung erhalten.

Kritik an der STIKO-Empfehlung

Die STIKO hat bisher nicht eruiert, wie das erneute Auftreten von Polio-Fällen in Deutschland unterbunden werden kann – IPV können schließlich keine Herdenimmunität erzeugen. Die STIKO-Empfehlung wird jedoch obsolet, sobald Polio als eradiziert gilt

Fachbeitrag:

  • Erreger

    • Polioviren sind Einzelstrang-RNA-Viren mit einer Größe von 25 bis 30 nm, ohne Lipidhülle und gehören zur Gattung Enterovirus der Familie der Picornaviridae (Mehndiratta et al., 2014).
    • Es wurden drei verschiedene Serotypen des „wild poliovirus“ identifiziert – WPV1, WPV2 und WPV3.
    • Die 1988 gegründete Globale Initiative zur Ausrottung der Poliomyelitis (GPEI) führte zur Ausrottung von WPV2 im Jahr 2015 und WPV3 2019 (Mbani et al., 2023).
    • Menschen stellen das einzige Reservoir des Erregers dar.

    (Robert Koch-Institut, 2021)
     

    Infektionsmodus

    • Die Übertragung erfolgt wie bei Enteroviren üblich hauptsächlich fäkal-oral, z. B. über kontaminierte Nahrungsmittel und Wasser.
    • Die Inkubationszeit variiert zwischen 2 und 35 Tagen (Mehndiratta et al., 2014), durchschnittlich liegt sie bei 6 bis 9 Tagen für die abortive, bei 3 bis 6 Tagen für die nicht-paralytische und bei 7 bis 14 Tagen für paralytische Poliomyelitis (Robert Koch-Institut, 2021).
    • Solange das Virus ausgeschieden wird, ist eine Ansteckung möglich. Im Rachen ist das Poliovirus etwa 36 Stunden bis eine Woche nach Infektion nachweisbar, im Stuhl etwa 2, 3 Tage bis 6 Wochen. Bei einer Immundefizienz kann die Ausscheidung dagegen sogar Monate und Jahre andauern (Robert Koch-Institut, 2021).
       

    Infektionsverlauf

    • Der Anteil der asymptomatischen Fälle an allen Infektionen wird bei Erwachsenen auf über 95 % geschätzt (Rasch et al., 2001; Mehndiratta et al., 2014).
    • Bei Kindern beträgt dieser Anteil nur 70 %, da es häufiger zu einem milden biphasichen Verlauf kommt (Centers for Disease Control and Prevention, 2021).
    • Dabei kommt es zur Ausbildung neutralisierender Antikörper (stille Feiung) (Robert Koch-Institut, 2021).

    Bei symptomatischen Fällen kann zwischen drei verschiedenen Arten unterschieden werden, die auch jeweils eine unterschiedliche Inkubationszeit aufweisen (s. Infektionsmodus):

    • Abortive Poliomyelitis: In 4 bis 8 % der Fälle bei Erwachsenen kommt es zu dieser milden, unspezifischen Form der Virämie, die mit Gastroenteritis, grippeähnlichen Beschwerden und leichten Infektionen der Atemwege einhergeht (Mehndiratta et al., 2014). Bei Kindern ist der Anteil mit 24 % sehr viel höher, die Manifestation von Fieber und Halsschmerzen aber absolut harmlos. In weniger als einer Woche tritt dabei eine vollständige Genesung ein (Centers for Disease Control and Prevention, 2021).

    Wenn die Polioviren das zentrale Nervensystem (ZNS) erreichen, kommt es nach der abortiven Poliomyelitis zur

    • nicht-paralytischen Poliomyelitis, auch als aseptische Meningitis bezeichnet, die bei 1 % der Fälle bei Erwachsenen und 1 bis 5 % der Fälle bei Kindern als Fieber, Nackensteifigkeit, Rückenschmerzen und Muskelspasmen auftritt und nach 2 bis 10 Tagen wieder verschwindet oder 2-3 Tage später zur
    • paralytischen Poliomyelitis führt, die bei weniger als 1 % aller Infektionen auftritt. Diese schwere Art der Virämie unter ZNS-Beteiligung ist durch extreme Schmerzen und Schmerzschübe im Bereich des Rückens, Nackens und der unteren Gliedmaßen gekennzeichnet.

      Weiterhin muss zwischen drei verschiedenen Formen differenziert werden. Die spinale Form ist mit 79 % der identifizierten Fälle zwischen 1969 und 1979 am häufigsten und löst asymmetrische Lähmungen aus, die insbesondere die Beine betreffen. Die bulbäre Form ist mit 2 % am seltensten und löst charakteristisch eine Schwäche der Gesichts-, Mund- und Atemmuskulatur aus. Die bulbospinale Form lässt sich als Kombination der beiden vorherigen Formen auffassen und macht etwa 19 % der Fälle aus.

      (Mehndiratta et al., 2014; Centers for Disease Control and Prevention, 2021)

    Post-Polio-Syndrom

    Es kann zu Folgeerscheinungen kommen, die unter dem Fachbegriff Post-Polio-Syndrom (PPS) zusammengefasst werden:

    • Dabei handelt es sich um eine neurologische Störung, die noch viele Jahre oder Jahrzehnte nach einer paralytischen Poliomyelitis auftreten kann und mit einer Schwäche bzw. Muskelermüdung und -abnahme (Atrophie) einhergeht.
    • Weitere Symptome sind Myalgie, Atemnot, Gelenkschmerzen, Dysphagie und allgemeine Müdigkeit.
    • Schätzungen zufolge sind etwa 15 bis 80 % der Überlebenden einer paralytischen Poliomyelitis von PPS betroffen. Die hohe Schwankung ergibt sich aus den Unterschieden der untersuchten Populationen. Bevölkerungsbezogene Studien kommen dabei auf einen Wert von 29 bis 31 % bzw. 42 %.
    • Dass die Poliovirus-Infektion persistiert und dadurch PPS ausgelöst wird, ist nicht bewiesen.
    • Der Verlauf ist multifaktoriell beeinflusst und hängt bspw. von dem Schweregrad der paralytischen Poliomyelitis, dem Alter zu Beginn der Erkrankung und dem sozioökonomischen Status ab.
    • Nach wie vor ist nicht geklärt, ob PPS durch ein dysreguliertes Immunsystem oder mit Gewebeschäden und Apoptose einhergehende neurologische Alterungsphänomene verursacht wird. Eine 2024 veröffentlichte Querschnittstudie, die zelluläre und humorale Immunparameter bei 47 PPS-Patienten und 27 altersgleichen Kontrollen untersuchte, konnte keine Unterschiede feststellen. Die Autoren folgern, dass die ältere Hypothese neurologischer Alterungsphänomene durch diese Ergebnisse bestärkt wird. Dies würde neue Möglichkeiten für biologische und medikamentöse Therapien eröffnen, die auf Neuroprotektion abzielen.

    (Lo & Robinson, 2018; Robert Koch-Institut, 2021; Wolbert & Higginbotham, 2023; Laffont et al., 2024)

    Abbildung 1: Flussdiagramm zur Darstellung des Infektionsverlaufes einer Polio-Infektion bei Erwachsenen, eigene Darstellung. Zur Vergrößerung bitte auf das Bild klicken.

    Abbildung 2: Flussdiagramm zur Darstellung des Infektionsverlaufes einer Polio-Infektion bei Kindern, eigene Darstellung. Zur Vergrößerung bitte auf das Bild klicken.
     

    Pathogenese & Komplikationen

    • Der Begriff Poliomyelitis leitet sich vom griech. polios (grau) und myelos (Mark) ab und weist dadurch darauf hin, dass es sich bei der Erkrankung um eine Zerstörung der Nervenzellen in der grauen Substanz des Hinterhorns im Rückenmark handelt.
    • Nach Aufnahme von Polioviren in den Körper erfolgt die Vermehrung im gastrointestinalen oder respiratorischen Epithel – dabei vor allem in den Mandeln (Tonsillen), den Lymphknoten des Halses und anschließend in den Peyer-Drüsen im Dünndarm. Dort verursacht es gar keine oder nur sehr milde Symptome.
    • Über das Lymphsystem und den Blutkreislauf gelangen die Viren in andere Bereiche des Körpers (Gewebe, Organe etc.).
    • Polioviren können das zentrale Nervensystem (ZNS), insbesondere das Rückenmark erreichen und dabei ihre primären Zielzellen, die motorischen Neuronen, zerstören (zythopatischer Effekt).
    • Neben Lähmungen kann es dabei auch zu tödlichen Atemwegserkrankungen oder kardiovaskulärem Kollaps kommen. Für PPS werden auch Atemversagen, Knochenbrüche und Gedeihstörungen als Komplikationen gelistet.
    • Die Pathogenese des PPS ist letztlich nicht vollständig geklärt. Die bewährteste Theorie nach Wiechers und Hubell besagt, dass es durch die Vergrößerung der motorischen Einheiten im Zuge der Polio-Infektion zu einer distalen Degeneration kommt. Neuere Studien unter Verwendung der Elektromyographie unterstützen diese Theorie, da das Verfahren auf eine erhöhte Instabilität der neuromuskulären Verbindung hinweist. Körperliche Inaktivität und altersbedingte Sarkopenie können dabei ebenfalls eine Rolle spielen.

    (Blondel et al., 2005; Lo & Robinson, 2018; Mbani et al., 2023; Wolbert & Higginbotham, 2023)
     

    Prävention

    • Die sicherste Präventionsmethode stellen die vorhandenen Impfstoffe dar (Mbani et al., 2023), s. Polio: Die Impfung.
    • Auch wenn alkoholbasierte Handdesinfektionsmittel Polioviren nicht abtöten, bleiben hygienische Bedingungen (z. B. regelmäßiges Händewaschen mit Wasser und Seife) wie bei vielen viralen Erkrankungen wichtig (Centers for Disease Control and Prevention, 2023).
       

    Prognose

    • Die Fallsterblichkeit für Fälle mit paralytischer Poliomyelitis wird mit 2 bis 5 % für Kinder und 15 bis 30 % für Jugendliche und Erwachsene angegeben (Centers for Disease Control and Prevention, 2021).
    • Die bulbäre Poliomyelitis hat eine schlechtere Prognose als die anderen Formen aufgrund der Schädigung von zerebralen bzw. vegetativen Nervenzentren (Robert Koch-Institut, 2021).
       

    Therapie

    • Symptomatische, unterstützende Behandlung – bisher sind keine antiviralen Medikamente gegen Poliomyelitis zugelassen.
    • Das umfasst in der Akutphase Maßnahmen zur Fiebersenkung und Irritationslinderung, Vorbeugung von Atemwegsinfektionen und ggf. Verringerung von Schmerzen und Krämpfen, z. B. in Form von Beinschienen.
    • Schienen bzw. Orthesen können auch bei der Vorbeugung und Behandlung von Deformitäten helfen. Auch chirurgische Eingriffe können dabei helfen, indem sie das Gleichgewicht der Muskulatur um das Gelenk herum wiederherstellen.
    • In der Rekonvaleszenz-Phase können tägliche Trainingsprogramme wie submaximales aerobes Training oder Muskeltraining mit geringer Intensität dabei helfen, die Überlastungsschwäche der Muskulatur und das kardiorespiratorische System zu therapieren. Aquafitness scheint zudem einen positiven Einfluss auf die Muskelfunktion sowie das Schmerzempfinden zu haben.

    (Tiffreau et al., 2010; Wolbert & Higginbotham, 2023)
     

    Epidemiologie

    • 1988 gab es 350.000 Fälle von endemischer Poliomyelitis in 125 Ländern. Die Weltgesundheitsversammlung beschloss in demselben Jahr die vollständige Eradikation des Poliovirus.
    • Die routinemäßige Verabreichung der zur Verfügung stehenden Impfstoffe im Kindesalter hat zur Reduktion um 99 % auf weltweit 33 Fälle im Jahr 2018 geführt.
    • Von den drei Wildtypen ist nur noch Seroryp 1 in Umlauf, welcher in Pakistan und Afghanistan als endemisch gilt (Wolbert & Higginbotham, 2023).
    • Die Global-Polio-Eradication-Initiative berichtet über jeweils sechs Fälle des Wildtyps in den beiden endemischen Ländern Afghanistan und Pakistan für das Jahr 2023. In diesem Jahr (Stand Juni 2024) wurden bereits jeweils fünf Polio-Fälle in diesen Ländern gemeldet (Global Polio Eradication Polio Initiative, 2024). Beide Länder kündigten deshalb im Juni 2024 landesweite Impfkampagnen an (Deutsches Ärzteblatt, 2024a, 2024b).

    Abbildung 3: Laut Our World in Data gemeldete Fälle von paralytischer Polio durch Polio-Wildviren.

    • Im Mai 2014 hat die WHO den öffentlichen Gesundheitsnotstand von internationaler Tragweite (PHEIC) für Polio deklariert – dieser hält als bisher längster und einziger bis heute an, da der Gesundheitsnotstand für COVID-19 und Affenpocken im Mai 2023 beendet wurde. Der Gesundheitsnotstand wird voraussichtlich dann aufgehoben werden, wenn auch der dritte und letzte Wildtyp ausgerottet wurde (World Health Organization, 2023b).
    Gesundheitlicher NotstandAusrufungBeendigungDauer
    Influenza-Pandemie H1N1 2009 bis 201025. April 200910. August 2010351 Tage
    Poliomyelitis 2014 bis dato5. Mai 2014andauernd> 10 Jahre
    Ebolafieber-Epidemie 2014 bis 20168. August 201429. März 20161 Jahr und 235 Tage
    Zikavirus-Epidemie 2015 bis 20161. Februar 201618. November 20182 Jahre und 291 Tage
    Ebolafieber-Epidemie 2018 bis 202017. Juli 201926. Juni 2020346 Tage
    COVID-19-Pandemie 2020 bis 202330. Januar 20205. Mai 20233 Jahre und 96 Tage
    Affenpocken-Ausbruch 2022 bis 202323. Juli 202211. Mai 2023293 Tage

    Tabelle 1: Bisherige gesundheitliche Notlagen internationaler Tragweite (PHEIC), ausgerufen und beendet durch die WHO, eigene Darstellung.

    • Die letzte Polio-Infektion wurde in Deutschland 1990 erfasst, 1992 wurden die letzten importierten Fälle aus Ägypten und Indien gemeldet (Robert Koch-Institut, 2021).
    • Jedoch gibt es durch die eingesetzten oralen Polioimpfstoffe (OPV) Fälle von sogenannter vakzinassoziierter Poliomyelitis (VAPP). Dabei handelt es sich um ein natürliches Phänomen der Enteroviren: Die Variabilität und schnelle Evolution der Polioviren kann bei Verabreichung der OPV zur Replikation und Entstehung („Rückmutation“) eines pathogenen Phänotyps führen („vaccine‐derived polioviruses“, VDPVs), der klinisch ähnlich verläuft wie der Wildtyp (Mbani et al., 2023).
    • Unterschieden wird zwischen drei verschiedenen Kategorien: Das zirkulierende VDPV (cVDPV), das sich in einer Gemeinschaft mit niedrigen Impfraten verbreitet, das mit Immunschwäche assoziierte VDPV (iVDPV) und ein noch nicht näher bestimmtes VDPV (aVDPV), bei dem es sich z. B. um ein Abwasserisolat handeln könnte. Die Ausbrüche von cVDPV können durch alle drei OPV-Serotypen verursacht sein.
    • In Deutschland traten jährlich bis zu 3 VAPP-Infektionen auf, was 1998 schließlich zur Aufhebung der Impfempfehlung von OPV durch die STIKO führte (für mehr Infos s. Polio: Die Impfung).

    Abbildung 4: Laut Our World in Data gemeldete Fälle von durch Impfviren verursachter paralytischer Polio bis 2023.

  • Die Impfstoffe

    • Bei den Polio-Impfstoffen unterscheidet man zwischen oral verabreichten (OPV) und intramuskulär verabreichten (IPV).
    • IPV benötigen Aluminiumhydroxid als Adjuvans.
    • In Deutschland sind drei IPV-Einzelimpfstoffe gegen Poliomyelitis ab einem Alter von 2 bzw. 3 Monaten zugelassen (Imovax Polio®, IPV Merieux®, Poliovaccine AJV®).
    • Zehn weitere Impfstoffe enthalten mindestens Komponenten gegen Tetanus und Diphtherie.
    • IPV enthalten Komponenten gegen alle drei Polio-Wildtypen, OPV können auch nur gegen einen Wildtyp wirken (World Health Organization, 2022).
    • Polio-Lebendimpfstoffe, die oral verbreicht werden (OPV), sind in Deutschland aufgrund des Risikos einer vakzinassoziierten Poliomyelitis (VAPP) und der Verbreitung von impfstoffabgeleiteten Polioviren („vaccine‐derived polioviruses“, VDPVs) seit 1998 nicht mehr empfohlen (Robert Koch-Institut, 2020).

    Einzel-Impfstoffe

    ImpfstoffnameKomponentenZugelassen ab (Alter)Zusammensetzung
    Imovax Polio®Polio3 MonatenEine Dosis (0,5 ml) enthält: Inaktivierte Poliomyelitis-Viren Typ 1 Mahoney (40 D-Antigen-Einheiten) und Typ 2 MEF-1 (8 D-Antigen-Einheiten) und Typ 3 Saukett (32 D-Antigen-Einheiten) gezüchtet in Vero-Zellen, 12,5 µg Phenylalanin, 2 mg Ethanol; sonstige Bestandteile: 2-Phenoxyethanol, Formaldehyd, Salzsäure oder Natriumhydroxid zur pH-Einstellung, Medium 199 (ohne Phenolrot), bestehend aus Aminosäuren (einschließlich Phenylalanin), Mineralsalzen, Vitaminen und anderen Bestandteilen (einschließlich Glukose), ergänzt mit Polysorbat 80 und gelöst in Wasser für Injektionszwecke.
    IPV Merieux®Polio3 MonatenEine Dosis (0,5 ml) enthält: Inaktivierte Poliomyelitis-Viren Typ 1 Mahoney (29 D-Antigen-Einheiten) und Typ 2 MEF-1 (7 D-Antigen-Einheiten) und Typ 3 Saukett (26 D-Antigen-Einheiten) gezüchtet in Vero-Zellen, 12,5 µg Phenylalanin, 2 mg Ethanol; sonstige Bestandteile: 2-Phenoxyethanol, Formaldehyd, Salzsäure oder Natriumhydroxid zur pH-Einstellung, Medium 199 (ohne Phenolrot), bestehend aus Aminosäuren (einschließlich Phenylalanin), Mineralsalzen, Vitaminen und anderen Bestandteilen (einschließlich Glukose), ergänzt mit Polysorbat 80 und gelöst in Wasser für Injektionszwecke.
    Poliovaccine AJV®Polio2 MonatenEine Dosis (0,5 ml) enthält: Inaktivierte Poliomyelitis-Viren Typ 1 Mahoney (40 D-Antigen-Einheiten) und Typ 2 MEF-1 (8 D-Antigen-Einheiten) und Typ 3 Saukett (32 D-Antigen-Einheiten) gezüchtet in Vero-Zellen; sonstige Bestandteile: Medium 199 (enthält Phenolsulphonphthalein als pH-Indikator).

    Tabelle 2: In Deutschland zugelassene Einzelimpfstoffe gegen Poliomyelitis mit ihren Bestandteilen (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, 2020, 2023b, 2023c).

    Kombinations-Impfstoffe

    ImpfstoffnameKomponentenZugelassen ab (Alter)Inhaltsstoffe
    Boostrix Polio® (alle Hersteller)Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Polio3 JahrenEine Dosis (0,5 ml) enthält: Diphtherie-Toxoid (2,5 Lf / ≥ 2 I.E.) und Tetanus-Toxoid (5 Lf / ≥ 20 I.E.) und Bordetella-pertussis-Antigene (8 µg Pertussis-Toxoid, 8 µg filamentöses Hämagglutinin, 2,5 µg Pertactin) adsorbiert an hydratisiertes Aluminiumhydroxid Al(OH)2 0,3 mg Al3+ und Aluminiumphosphat AlPO4 0,2 mg Al3+, kann Spuren von Formaldehyd enthalten (während des Herstellungsprozesses verwendet); sonstige Bestandteile: Natriumchlorid, Wasser für Injektionszwecke
    Hexacima®Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Polio, HiB, Hepatitis B6 WochenEine Dosis (0,5 ml), adsorbiert an hydratisiertes Aluminiumhydroxid (0,6 mg Al3+) enthält: Diphtherie-Toxoid (mind. 20 I. E.), Tetanus-Toxoid (mind. 40 I. E.), Bordetella pertussis-Antigene (Pertussis-Toxoid 25 µg, filamentöses Hämagglutinin 25 µg), inaktivierte Polioviren kultiviert auf Vero-Zellen (Typ 1-Mahoney: 29 D-Antigen-Einheiten, Typ 2-MEF-1: 7 D-Antigen-Einheiten, Typ 3-Saukett: 26 D-Antigen-Einheiten), Hepatitis-B-Oberflächenantigen 10 µg (hergestellt in Hefezellen durch rekombinante DNA-Technologie), Haemophilus-influenzae-Typ-b-Polysaccharid 12 µg – konjugiert an Tetanus-Protein (22-36 µg); sonstige Bestandteile: Dinatriumhydrogenphosphat, Kaliumdihydrogenphosphat, Trometamol, Saccharose, essenzielle Aminosäuren einschließlich L-Phenylalanin, Natriumhydroxid / Essigsäure oder Salzsäure (zur pH-Wert-Einstellung), Wasser für Injektionszwecke
    Hexyon®Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Polio, HiB, Hepatitis B7 Wochenwie Hexacima®
    Infanrix hexa®Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Polio, HiB, Hepatitis B2 MonatenEine Dosis (0,5 ml) enthält: Diphtherie-Toxoid (mind. 30 I.E.) und Tetanus-Toxoid (mind. 40 I.E.) sowie Bordetella-pertussis-Antigene (Pertussis-Toxoid 25µg, filamentöses Hämagglutinin 25 µg, Pertactin 8 µg) jeweils adsorbiert an Aluminiumhydroxid (0,5 mg Al3+); Hepatitis-B-Oberflächenantigen 10 µg (hergestellt in Hefezellen durch rekombinante DNA-Technologie) und Haemophilus-influenzae-Typ-b-Polysaccharid 10 µg (konjugiert an Tetanus-Protein 25 µg) jeweils adsorbiert an Aluminiumphosphat (0,32 mg Al3+); inaktivierte Polioviren kultiviert auf Vero-Zellen (Typ 1-Mahoney: 40 D-Antigen-Einheiten, Typ 2-MEF-1: 8 D-Antigen-Einheiten, Typ 3-Saukett: 32 D-Antigen-Einheiten); kann Spuren von Formaldehyd, Neomycin und Polymyxin enthalten (während des Herstellungsprozesses verwendet); sonstige Bestandteile: Pulver (Laktose wasserfrei), Suspension (Natriumchlorid; Medium 199 als Stabilisator bestehend aus Aminosäuren, Mineralsalzen, Vitaminen und anderen Substanzen; Wasser für Injektionszwecke)
    Infanrix-IPV + HiB® (alle Hersteller)Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Polio, HiB2 MonatenEine Dosis (0,5 ml) enthält: Diphtherie-Toxoid (mind. 30 I.E.), Tetanus-Toxoid (mind. 40 I.E.), Bordetella-pertussis-Antigene (Pertussis-Toxoid 25 µg, filamentöses Hämagglutinin 25 µg, Pertactin 8 µg) adsorbiert an Aluminiumhydroxid (0,5 mg Al3+), inaktivierte Polioviren vermehrt in Vero-Zellen (Typ 1-Mahoney: 40 D-Antigen-Einheiten, Typ 2-MEF-1: 8 D-Antigen-Einheiten, Typ 3-Saukett: 32 D-Antigen-Einheiten), Haemophilus-influenzae-Typ-b-Polysaccharid 10 µg konjugiert an Tetanus-Protein (25 µg), kann Spuren von Neomycin, Polymyxin und Polysorbat 80 enthalten (während des Herstellungsprozesses verwendet); sonstige Bestandteile: Pulver (Laktose), Suspension (Natriumchlorid, Medium 199 als Stabilisator bestehend aus Aminosäuren, Mineralsalzen, Vitaminen und anderen Substanzen, Wasser für Injektionszwecke)
    Pentavac® (alle Hersteller)Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Polio, HiB2 MonatenEine Dosis (0,5 ml), adsorbiert an hydratisiertes Aluminiumhydroxid (0,3 mg Al3+) enthält: Diphtherie-Toxoid (mind. 20 I.E.), Tetanus-Toxoid (mind. 40 I.E.), Bordetella-pertussis-Antigene (gereinigtes Pertussis-Toxoid 25 µg, gereinigtes filamentöses Hämagglutinin 25 µg), inaktivierte Polioviren kultiviert auf Vero-Zellen (Typ 1-Mahoney: 40 D-Antigen-Einheiten, Typ 2-MEF-1: 8 D-Antigen-Einheiten, Typ 3-Saukett: 32 D-Antigen-Einheiten), Haemophilus-influenzae-Typ-b-Polysaccharid 10 µg – konjugiert an Tetanus-Toxoid; kann nicht nachweisbare Spuren von Glutaraldehyd, Neomycin, Streptomycin und Polymyxin B enthalten; sonstige Bestandteile: Phenylalanin (12,5µg), Phenoxyethanol, wasserfreies Ethanol, Trometamol, Saccharose, Medium 199 als Stabilisator bestehend aus Aminosäuren, Mineralsalzen, Vitaminen und anderen Substanzen wie Glukose (ohne Phenolrot), gelöst in Wasser für Injektionszwecke, Formaldehyd, Salzsäure (zur pH-Einstellung des Pulvers), Eisessig und/oder Natriumhydroxid (zur pH-Einstellung der Suspension)
    Repevax® (alle Hersteller, Auffrisch-Impfstoff)Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Polio3 JahrenEine Dosis (0,5 ml) enthält: Diphtherie-Toxoid (2 Lf / ≥ 2 I.E.) und Tetanus-Toxoid (5 Lf / ≥ 20 I.E.) und Pertussis-Antigene (2,5 µg Pertussis-Toxoid, 5 µg filamentöses Hämagglutinin, 3 µg Pertactin, 5 µg Fimbrien-Agglutinogene 2 und 3) und inaktivierte und in VERO-Zellen gezüchtete Poliomyelitis-Viren Typ 1 (40-D-Antigeneinheiten) Typ 2 (8-D-Antigeneinheiten) Typ 3 (32-D-Antigeneinheiten) jeweils adsorbiert an Aluminiumphosphat 1,5 mg (0,33 mg Al3+), kann Spuren von Formaldehyd, Glutaraldehyd, Streptomycin, Neomycin, Polymyxin B und bovinem Serumalbumin enthalten (während des Herstellungsprozesses verwendet); sonstige Bestandteile: Phenoxyethanol, Polysorbat 80, Wasser für Injektionszwecke
    REVAXiS® (alle Hersteller, Auffrisch-Impfstoff)Diphtherie, Tetanus, Polio5 JahrenEine Dosis (0,5 ml) enthält: gereinigtes Diphtherie-Toxoid (≥ 2 I.E.) und gereinigtes Tetanus-Toxoid (≥ 20 I.E.) und auf Vero-Zellen kultivierte inaktivierte Poliomyelitis-Viren Typ 1 (29-D-Antigen-Einheiten) Typ 2 (7 D-Antigen-Einheiten) Typ 3 (26 D-Antigen-Einheiten) adsorbiert an Aluminiumhydroxid (0,35 mg Al); sonstige Bestandteile: Phenoxyethanol, Ethanol (wasserfrei), Formaldehyd, Essigsäure und/oder Natriumhydroxid (zur pH- Wert-Einstellung), Medium 199 (Aminosäuren, Mineralsalze, Vitamine, Polysorbat 80, Salzsäure und/oder Natriumhydroxid zur pH-Wert-Einstellung), Wasser für Injektionszwecke
    Tetravac® (derzeit nicht vermarket)Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Polio2 MonatenEine Dosis (0,5 ml) enthält: Diphtherie-Toxoid (≥ 20 I.E.) und Tetanus-Toxoid (≥ 40 I.E.) und Bordetella-pertussis-Antigene (25 µg gereinigtes Pertussis-Toxoid, 25 µg gereinigtes filamentöses Hämagglutinin) und inaktivierte und in Vero-Zellen gezüchtete Poliomyelitis-Viren Typ 1 (40-D-Antigeneinheiten) Typ 2 (8-D-Antigeneinheiten) Typ 3 (32-D-Antigeneinheiten) jeweils adsorbiert an Aluminiumhydroxid (0,3 mg Al3+), kann Spuren von Glutaraldehyd, Neomycin, Streptomycin und Polymyxin B enthalten (während des Herstellungsprozesses verwendet); sonstige Bestandteile: 2-Phenoxyethanol, Medium 199 (enthält u.a. Aminosäuren, Mineralsalze und Vitamine, gelöst in Wasser für Injektionszwecke), Formaldehyd
    Vaxelis®Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Polio, HiB, Hepatitis B6 WochenEine Dosis (0,5 ml), adsorbiert an Aluminiumphosphat (0,17 mg Al3+) enthält: Diphtherie-Toxoid (mind. 20 I.E.), Tetanus-Toxoid (mind. 40 I.E.), Bordetella pertussis-Antigene (Pertussis-Toxoid 20 µg, Filamentöses Hämagglutinin 20 µg, Pertactin 3 µg, Fimbrien Typen 2 und 3 FIM 5 µg), Hepatitis-B-Oberflächenantigen 10 µg (hergestellt in Hefezellen durch rekombinante DNA-Technologie), inaktivierte Polioviren gezüchtet in Vero-Zellen (Typ 1-Mahoney: 40 D-Antigen-Einheiten, Typ 2-MEF-1: 8 D-Antigen-Einheiten, Typ 3-Saukett: 32 D-Antigen-Einheiten), Haemophilus-influenzae-Typ-b-Polysaccharid 3 µg – konjugiert an Meningokokken-Protein (50 µg); kann Spuren von Glutaraldehyd, Formaldehyd, Neomycin, Streptomycin, Polymyxin B und Rinderserumalbumin (während der Produktion verwendet); sonstige Bestandteile: Natriumphosphat, Wasser für Injektionszwecke

    Tabelle 3: In Deutschland zugelassene Kombinationsimpfstoffe, die eine Komponente gegen Poliomyelitis enthalten, und deren Inhaltsstoffe. Die Tabelle spiegelt nicht unbedingt die aktuelle Marktsituation wider (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, 2010, 2019a, 2019b, 2021, 2022, 2023a; European Medicines Agency 2023a, 2023b, 2023c, 2024).
     

    Impfschema

    Abbildung 5: Laut Our World in Data die Impf-Schemata weltweit in 2023.
     

    Geschichte

    • Neben den intramuskulär verabreichten Impfstoffen gibt es auch orale Impfstoffe (OPV), die lebende und vermehrungsfähige Polioviren enthalten.
    • Der erste OPV-Impfstoff, entwickelt von Albert Sabin, wurde 1959 zuerst großflächig in Ungarn und der damaligen Tschechoslowakei eingesetzt, wohingegen der erste IPV-Impfstoff 1955 in den USA lizensiert wurde.
    • Ursprünglich enthielten die OPV-Impfstoffe abgeschwächte Viren gegen alle drei Wildtypen. Mittlerweile gelten aber Wildtyp 2 (seit 2015) und Wildtyp 3 (seit 2019) als ausgerottet (Robert Koch-Institut, 2021).

    Chronologie

    1949Das Poliovirus wird erstmals in menschlichem Gewebe gezüchtet (John Enders, Thomas Weller, Frederick Robbins)
    1954Inaktivierter Impfstoff, entwickelt durch Jonas Salk, wird an 1,6 Millionen Kindern in Kanada, Finnland und den USA getestet
    12. April 1955Der erste IPV-Impfstoff wird lizensiert
    1955-1957Die Zahl der Polio-Fälle fällt von 58.000 auf 5.600 pro Jahr
    1958-1959Zusammen mit russischen Virologen wird der erste OPV-Impfstoff von Albert Sabin an insgesamt 140.000 Kindern aus der Sowjetunion und der Tschechoslowakei getestet
    1959-1960Ungarn und die Tschechoslowakei sind die ersten Länder, die mit der Impfung des OPV-Impfstoffes beginnen
    1961Monovalenter OPV-Impfstoff (Typ 1, 2 oder 3) wird lizensiert
    1963Trivalenter OPV-Impfstoff (Typ 1, 2 und 3) wird lizensiert
    1988Die „Global Eradication Initiative“ (Initiative zur Ausrottung der Kinderlähmung) wird gegründet
    1994Amerika gilt als poliofrei
    1995Massen-Impfkampagnen in China und Indien werden gestartet
    2000Die Westpazifik-Region gilt als poliofrei
    2003Polio ist nur noch in 6 Ländern endemisch
    2006Polio ist nur noch in 4 Ländern endemisch
    2009Bivalenter OPV-Impfstoff (Typ 1 und 3) wird lizensiert
    2014Süd-Ost-Asien gilt als poliofrei
    2015Polio-Wildtyp 2 gilt als ausgerottet
    2019Polio-Wildtyp 3 gilt als ausgerottet
    2020Afrika gilt als poliofrei
    2021Weltweit werden sechs Poliofälle registriert, vier in Afghanistan sowie jeweils einer in Malawi und Pakistan; erste Nutzung von nOPV2 in Nigeria mit einem Emergency Use Listing durch die WHO.
    2022Es gibt weltweit 28 Wildvirus-Infektionen (in Pakistan, Afghanistan und Mosambik), in London und New York wurde das Polio-Virus in Abwasserproben detektivert; Europa ist seit 20 Jahren frei vom Polio-Wildvirus.
    2023Jeweils sechs Wildvirus-Fälle in Afghanistan und Pakistan.
    2024Bisher (Juni 2024) jeweils fünf Wildvirus-Fälle in Afghanistan und Pakistan.

    Tabelle 4: Geschichte der Impfstoffentwicklung gegen das Poliovirus und dessen Verbreitung weltweit (Kurji et al., 2024; Robert Koch-Institut, 2021; World Health Organization, 2022b, 2023a).
     

    Neuartige orale Polioimpfstoffe

    • 2020 hat die WHO einen neuen oralen Polioimpfstoff gegen den Typ 2 (nOPV2) auf die Liste für den Einsatz in Notfällen (EUL) gesetzt, um die Ausbreitung von cVDPVs zu stoppen. Die bisherigen intramuskulär verabreichten IPV-Impfstoffe können das Problem nicht lösen, da sie keine Immunität im Darm erzeugen. Der neue Impfstoff besteht ebenso wie die originären OPV-Impfstoffe aus Lebendviren. Diese seien jedoch an 5 verschiedenen Stellen genetisch verändert, was sie unanfälliger für eine Mutation machen würde – ausgeschlossen werden könne es jedoch nicht. Weiterhin wird von einer geringeren Ausscheidung der Viren über den Stuhl ausgegangen (Deutsches Ärzteblatt, 2020).
    • Seit März 2021 wurde der nOPV2-Impfstoff mehr als 650 Millionen Kindern in 30 Ländern verabreicht. In Nigeria und der Demokratischen Republik Kongo wurden bereits vier Fälle von Rückmutationen bestätigt. Als Gründe dafür wurden unter anderem die schlechtere Überwachung der Polio-Fälle im Zuge der COVID-19-Pandemie, Katastrophen und Konflikte sowie das Warten einiger Länder auf den neuen Impfstoff anstatt die Verwendung des älteren Impfstoffes genannt (Nature, 2023).
    • Inzwischen äußern Forscher Kritik am nOPV2-Impfstoff. Laut GPEI waren alle Fälle von Polio-Virus-Infektionen des Wildtyps bei Kindern aufgetreten, die bereits mit dem neuartigen Impfstoff geimpft wurden. Es wurde demnach ein absolutes Impfversagen festgestellt. Schon bei der OPV-Impfung wurden Unterschiede in der Wirksamkeit je nach geografischem Einsatz festgestellt. Die Sicherheit ist bei Schluckimpfungen laut den Autoren nie das Problem gewesen. Stattdessen sollte die geringe Wirksamkeit in Ländern mit niedrigem bis mittleren Einkommen durch den neuen OPV-Impfstoff behoben werden. Die Ausrottung von Polio bis 2023 sei auch wegen der Quote an Impfversagern durch die nOPV2-Impfstoffen nicht realisierbar gewesen (John et al., 2024).
       

    Wirksamkeit

    Nicht-Lebend-Impfstoffe (IPV)

    • IPV-Impfstoffe verhindern nicht die Ausscheidung von Polio-Viren. Sie können keine Herdenimmunität erzeugen (Macklin et al., 2019).
    • Zwei Impfungen sind ausreichend. Eine dritte Impfung mit einem IPV-Impfstoff erzeugt keine Steigerung der Serokonversionsrate (Macklin et al., 2019).
    • Je später geimpft wird und je größer der Abstand zwischen den ersten beiden Impfungen ist, desto besser ist die Immunantwort. Bei einem Alter von mehr als 10 Wochen bei der ersten Impfung lag die Serokonversionsrate bei 80%, ein Zeitabstand von 9 Wochen führte zu etwa 90% Serokonversionsrate nach der zweiten Impfung (World Health Organization, 2022a).
    • Eine Impfserie von drei Impfungen plus Booster sorgt vermutlich für eine lebenslange Immunität, auch wenn die Antikörperspiegel mit zunehmendem Alter abnehmen (World Health Organization, 2022a).

    Lebend-Impfstoffe (OPV)

    • Geimpfte Menschen scheiden Polioviren für einige Tage über den Nasen-Rachenraum und für einige Wochen über den Stuhl aus. Dadurch werden Personen im gleichen Haushalt gleichzeitig „mitgeimpft“ (World Health Organization, 2022a).
    • OPV erzeugen eine Immunität der Darmschleimhaut und können eine Herdenimmunität erzeugen, weil sie die Übertragung von Polioviren verhindern.
    • Weitere Vorteile: Sie sind günstig und einfach zu verabreichen (oral, zwei Tropfen, z. B. auf Zucker). Deshalb werden sie heute vor allem in Ländern mit geringem Einkommensniveau eingesetzt.
    • Sie bieten im besten Fall einen Schutz von 95%. Dieser ist jedoch von verschiedenen Faktoren abhängig, wie dem Ernährungsstatus, den mütterlichen Antikörpern, der Prävalenz von Darminfektionen, dem Kontakt zu OPV-Impflingen im Haushalt und der geografischen Lage (World Health Organization, 2022a). In einkommensschwachen Ländern liegt der Schutz je nach Poliotyp somit nur noch bei 70-90% (Patriarca et al., 1991).
    • Die Impfung schützt lebenslang vor Lähmungen durch das Poliovirus (World Health Organization, 2022a).
       

    Nebenwirkungen

    Hinweis: Um die Tabelle vollständig anzuzeigen, scrollen Sie bitte mit Maus oder Touchpad nach rechts und links.

    Nicht-Lebend-Impfstoffe (IPV)

    Einzel-Impfstoffe:

    ImpfstoffSehr häufig (> 1/10)Häufig (≥ 1/100 bis < 1/10)Gelegentlich (≥ 1/1.000 bis < 1/100)Selten (≥ 1/10.000 bis < 1/1.000)Sehr selten (< 1/10.000)Unbekannt / weitere mögliche Nebenwirkungen / Post-Marketing-Surveillance
    Imovax Polio®Schmerz an der InjektionsstelleReizbarkeit, untröstliches Schreien, Schlaflosigkeit, Kopfschmerz, Benommenheit, Schwindel, Vertigo, Erbrechen, Übelkeit, Diarrhö, Myalgie, ArthralgieVerdickung an der Injektionsstelle  Lymphadenopathie, allergische oder anaphylaktische Reaktion bis zum Schock, Unruhe, Krampfanfälle, Fieberkrämpfe, vorübergehende leichte Parästhesie, Ausschlag, Urtikaria, lokale Reaktion an der Injektionsstelle (z. B. Ödeme, Ausschlag), grippeähnliche Symptome
    IPV Merieux®Schmerz an der Injektionsstelle, FieberReizbarkeit, untröstliches Schreien, Schlaflosigkeit, Kopfschmerz, Benommenheit, Schwindel, Vertigo, Erbrechen, Übelkeit, Diarrhö, Erythem an der Injektionsstelle, Myalgie, ArthralgieVerdickung an der Injektionsstelle  Lymphadenopathie, allergische oder anaphylaktische Reaktion bis zum Schock, Unruhe, Krampfanfälle, Fieberkrämpfe, vorübergehende leichte Parästhesie, Ausschlag, Urtikaria, lokale Reaktion an der Injektionsstelle (z. B. Ödeme, Ausschlag), grippeähnliche Symptome
    Poliovaccine AJV® Hautausschlag, allgemeines Unwohlsein, Druckschmerz, Rötung und Schwellung an der Injektionsstelle, Fieber Lymphadenopathie, Überempfindlichkeit und anaphylaktische Reaktion, Hohes Fieber (≥ 40 °C)Fieberkrämpfe, Kopfschmerzen, Schläfrigkeit, Vasovagale Synkope, Urtikaria, Arthralgie, Myalgie 

    Tabelle 5: Unerwünschte Arzneimittelwirkungen der Einzelimpfstoffe gegen Poliomyelitis (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, 2020, 2023b, 2023c).

    Kombinations-Impfstoffe:

    ImpfstoffAlter / GeschlechtSehr häufig (> 1/10)Häufig (≥ 1/100 bis < 1/10)Gelegentlich (≥ 1/1.000 bis < 1/100)Selten (≥ 1/10.000 bis < 1/1.000)Sehr selten (< 1/10.000)Unbekannt / weitere mögliche Nebenwirkungen / Post-Marketing-Surveillance
    Boostrix Polio® (alle Hersteller)Kinder im Alter von 4 bis 8 Jahren (n=908)Schläfrigkeit, Rötung / Schwellung / Schmerzen an der Injektionsstelle

    Appetitlosigkeit, Reizbarkeit, Kopfschmerzen, Fieber

    > 39,0°C, ausgedehnte Schwellung der Impfextremität (manchmal auch angrenzende Gelenke) Blutung / Pruritus / Verhärtung an der Injektionsstelle

    Lymphadenopathie, Schlafstörungen, Apathie, trockener Rachen, Durchfall, Erbrechen, Bauchschmerzen, Übelkeit, Müdigkeit Erkrankungen des zentralen oder peripheren Nervensystems, einschließlich aufsteigender Lähmungen bis hin zur Atemlähmung (z. B. Guillain-Barré-Syndrom)Allergische Reaktionen einschließlich anaphylaktische und anaphylaktoide Reaktionen, hypoton-hyporesponsive Episoden, Krampfanfälle (mit oder ohne Fieber), Urtikaria, Angioödem, Asthenie
    Personen im Alter von 10 bis 93 Jahren (n=955)Kopfschmerzen, Rötung / Schwellung / Schmerzen an der Injektionsstelle, MüdigkeitGastrointestinale Beschwerden (wie Erbrechen, Bauchschmerzen, Übelkeit), Fieber ≥ 37,5°C, Hämatom / Pruritus / Verhärtung / Wärme / Taubheit an der InjektionsstelleHerpes labialis, Lymphadenopathie, Appetitlosigkeit, Parästhesie, Schläfrigkeit, Schwindel, Pruritus, Arthralgie, Myalgie, ausgedehnte Schwellung an der Impfextremität (manchmal auch angrenzende Gelenke), Fieber > 39,0°C, Schüttelfrost, Schmerzen   
    Hexacima®bis 24 Monate in klinischen Prüfungen untersuchtInappetenz, Weinen, Somnolenz, Erbrechen, Fieber ≥ 38,0 °C, Reizbarkeit, Schmerzen, Erythem und Schwellung an der Injektionsstelleanhaltendes Weinen (anormal), Diarrhö, Verhärtung an der Injektionsstelle, ≥ 39,6 °CÜberempfindlichkeitsreaktion, Fieber, Knötchen an der InjektionsstelleAnaphylaktische Reaktion, Konvulsionen mit oder ohne Fieber, Ausschlag, ausgeprägte Schwellung einer ExtremitätMuskelhypotonie oder hypotonisch- hyporesponsive Episoden (HHE)Brachial-Neuritis, Guillain-Barré-Syndrom, Periphere Neuropathie (Polyradikuloneuritis, Gesichtslähmung), Optikusneuritis, Demyelinisierung des Zentralnervensystems, Enzephalopathie, Enzephalitis, Apnoe bei Frühgeborenen (≤ 28. SSW), ödematöse Reaktionen an unteren Gliedmaßen mit möglicher Zyanose, Rötung, transiente Purpura und heftigem Weinen
    Hexyon®bis 24 Monate in klinischen Prüfungen untersuchtInappetenz, Weinen, Somnolenz, Erbrechen, Fieber ≥ 38,0 °C, Reizbarkeit, Schmerzen, Erythem und Schwellung an der Injektionsstelleanhaltendes Weinen (anomal), Diarrhö, Verhärtung an der Injektionsstelle, ≥ 39,6 °CÜberempfindlichkeitsreaktion, Fieber, Knötchen an der InjektionsstelleAnaphylaktische Reaktion, Konvulsionen mit oder ohne Fieber, Ausschlag, ausgeprägte Schwellung einer ExtremitätMuskelhypotonie oder hypotonisch- hyporesponsive Episoden (HHE)Brachial-Neuritis, Guillain-Barré-Syndrom, Periphere Neuropathie (Polyradikuloneuritis, Gesichtslähmung), Optikusneuritis, Demyelinisierung des Zentralnervensystems, Enzephalopathie, Enzephalitis, Apnoe bei Frühgeborenen (≤ 28. SSW), ödematöse Reaktionen an unteren Gliedmaßen mit möglicher Zyanose, Rötung, transiente Purpura und heftigem Weinen
    Infanrix hexa®Ab 2 MonatenAppetitlosigkeit, ungewöhnliches Schreien, Reizbarkeit, Ruhelosigkeit, Schläfrigkeit, Fieber ≥ 38 °C, Schmerzen / Rötung / Schwellung an der Injektionsstelle (bis 5 cm)Unruhe, Durchfall, Erbrechen, Fieber >39,5 °C, Verhärtung, Schwellung / an der Injektionsstelle (über 5 cm)Infektion der oberen Atemwege, Husten, Diffuse Schwellung der Impfextremität (manchmal unter Einbeziehung des angrenzenden Gelenks), MüdigkeitLymphadenopathie, Thrombozytopenie, anaphylaktische Reaktionen, anaphylaktoide Reaktionen (einschl. Urtikaria), allergische Reaktionen (einschl. Pruritus), Kollaps oder schockähnlicher Zustand (hypoton-hyporesponsive Episode), Bronchitis, Apnoe bei Frühgeborenen (≤ 28. SSW), Hautausschlag, Angioödem, Schwellung der gesamten Impfextremität, Schwellung / Verhärtung / Bläschen an der InjektionsstelleKrampfanfälle (mit oder ohne Fieber), Dermatitis 
    Pentavac® (alle Hersteller)Ab 2 MonatenAppetitlosigkeit (verminderte Nahrungsaufnahme), Nervosität (Reizbarkeit), ungewöhnliches Schreien, Schläfrigkeit (Benommenheit), Erbrechen, Fieber ≥ 38 °C, Rötung / Schwellung / Schmerz an der Injektionsstelle,Schlaflosigkeit (Schlafstörungen), Durchfall, Verhärtung an der Injektionsstellelang anhaltendes unstillbares Schreien, Fieber ≥ 39 °C, Rötung / Schwellung an der Injektionsstelle (≥ 5 cm),hohes Fieber > 40 °C, ödematöse Reaktionen an unteren Gliedmaßen mit möglicher Zyanose, Rötung, transiente Purpura und heftigem Weinen anaphylaktische Reaktionen, Gesichtsödem, Quincke-Ödem oder Schock, Krampfanfälle mit oder ohne Fieber, Muskelhypotonien oder hypoton-hyporesponsive Episoden (HHE), Hautausschlag, Urtikaria, großflächige Reaktionen an der Injektionsstelle (> 5 cm) einschl. starker Schwellungen an der Impfextremität, die sich über die Gelenke ausdehnen (kann mit Erythem, Wärme, Druckempfindlichkeit oder Schmerzen an der Injektionsstelle verbunden sein), Plexus-brachialis-Neuritis, Guillain-Barré-Syndrom, Apnoe bei Frühgeborenen (≤ 28. SSW)
    Repevax® (alle Hersteller, Auffrisch-Impfstoff)Kinder im Alter von 3 bis 6 Jahren (n=390)Durchfall, Müdigkeit / Abgeschlagenheit, Fieber ≥ 37,5 °C, Schmerz / Schwellung / Rötung an der InjektionsstelleKopfschmerz, Übelkeit, Erbrechen, Ausschlag, Arthralgie / Gelenkschwellung, Reizbarkeit, Dermatitis / Hämatom / Juckreiz an der Injektionsstelle   Lymphadenopathie, anaphylaktische Reaktionen, wie z. B. Urtikaria / Gesichtsödem / Atemnot, Krampfanfall, vasovagale Synkope, Guillain-Barré-Syndrom, Fazialisparese, Myelitis, Plexus-brachialis-Neuritis, vorübergehende Parästhesie / Hypästhesie der Extremität, in die geimpft wurde, Schwindel, Bauchschmerz, Schmerzen in der Impfextremität, Krankheitsgefühl (sehr häufig bei Jugendlichen und Erwachsenen), Blässe, starke Schwellung der Impfextremität, Verhärtung an der Injektionsstelle
    Jugendliche und Erwachsene (n=994)Kopfschmerz, Übelkeit, Arthralgie / Gelenkschwellung, Myalgie, Müdigkeit / Abgeschlagenheit, Schüttelfrost, Schmerz / Schwellung / Rötung an der InjektionsstelleDurchfall, Erbrechen, Fieber ≥ 38 °C   
    REVAXiS® (alle Hersteller, Auffrisch-Impfstoff)-Schmerz / Erythem / Induration / Ödem / Knötchenbildung an der InjektionsstelleKopfschmerz, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, FieberLymphadenopathie, Myalgie, KrankheitsgefühlArthralgie 

    systemische allergische/anaphylaktische Reaktionen einschließlich Schock, Krampfanfall, Guillain-Barré-Syndrom, Plexus-brachialis-Neuritis,

    vorübergehende Parästhesie und Hypästhesie des Arms, in den der Impfstoff verabreicht wurde, vasovagale Synkope, abdomineller Schmerz, Diarrhö, allergische Reaktionen wie Urtikaria, verschiedene Arten von Ausschlag und Gesichtsödem, Schmerz an der Impfextremität, Reaktionen an der Injektionsstelle (> 50 mm) wie Schwellungen (kann mit Erythem, Wärme, Druckempfindlichkeit oder Schmerz an der Injektionsstelle verbunden sein), Blässe, Asthenie, Schüttelfrost, grippeähnliche Symptome (meist am Tag der Impfung)

    Tetravac® (derzeit nicht vermarket)Kleinkinder (n=2.800) Appetitlosigkeit, Nervosität (Reizbarkeit), Schlaflosigkeit, Schläfrigkeit (Benommenheit), Durchfall, Erbrechen, Rötung / Verhärtung an der Injektionsstelle, Fieber ≥ 38 °Clang anhaltendes, unstillbares Schreien, Rötung / Schwellung an der Injektionsstelle ≥ 5 cm, Fieber ≥ 38 °CHohes Fieber ≥ 40 °C Anaphylaktische Reaktionen, Gesichtsödem, Quincke-Ödem, Krämpfe mit oder ohne Fieber, Synkopen, allergieähnliche Symptome wie verschiedene Arten von Ausschlag, Erythem und Urtikaria, Schmerzen an der Injektionsstelle, Reaktionen an der Injektionsstelle (> 5 cm) einschließlich starker Schwellungen an der Impfextremität (kann mit Erythem, Wärme, Druckempfindlichkeit oder Schmerzen an der Injektionsstelle verbunden sein), hypoton-hyporesponsive Episoden (nach Gabe anderer Pertussis-Impfstoffe) Plexus brachialis-Neuritis / Guillain-Barré-Syndrom (nach Gabe von Tetanus-Toxoid)
    Vaxelis®Bis 15 Monate in klinischen Prüfungen untersuchtVerminderter Appetit, Somnolenz, Erbrechen, Weinen, Reizbarkeit, Erythem / Schmerz / Schwellung an der Injektionsstelle, FieberDiarrhö, Hämatom / Verhärtung / Knötchen an der InjektionsstelleRhinitis, Lymphadenopathie, Appetitsteigerung, Schlafstörungen einschließlich Schlaflosigkeit, Unruhe, erniedrigter Muskeltonus, Blässe, Husten, Abdominalschmerz, Ausschlag, Hyperhidrosis, Ausschlag / Wärme an der Injektionsstelle, ErmüdungÜberempfindlichkeit, anaphylaktische Reaktion, massive Schwellung an der geimpften Extremität Konvulsionen mit oder ohne Fieber, hypotonisch-hyporesponsive Episode (HHE), Apnoe bei Frühgeborenen (≤ 28. SSW)

    Tabelle 6: Unerwünschte Arzneimittelwirkungen der Kombinations-Impfstoffe gegen Poliomyelitis (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, 2010, 2019a, 2019b, 2021, 2022, 2023a; European Medicines Agency 2023a, 2023b, 2023c, 2024).

    Lebend-Impfstoffe (OPV)

    • Lähmungen, wie bei einer Infektion mit dem Wildtyp (VAPP), die nach sieben bis 60 Tagen auftritt und mehr als 60 Tage anhält. Das Risiko beträgt in Ländern, die OPV verwenden, 3,8 Fälle pro einer Millionen Geburten (Platt et al., 2014).
    • VAPP tritt in Ländern mit hohem Einkommen meist bei Kindern unter einem Jahr und nach der ersten Dosis auf (Alexander et al., 2004).
    • In Ländern mit niedrigem Einkommen tritt VAPP bei Ein- bis Vierjährigen eher nach der zweiten oder weiteren Impfung auf (World Health Organization, 2022a).
    • Impfstoffabgeleitete Polioviren (VDPVs) sind genetisch veränderte Varianten des Impfvirus. Sie können ausgeschieden werden und im Fall von „circulating vaccine-derived polioviruses“ (cVDPVs) andere Menschen infizieren, vor allem wenn in der Bevölkerung eine geringe Immunität vorliegt. Außerdem gibt es immunodefiency-VDPVs, die in Menschen auftreten, die keine Immunantwort auf die Impfung ausbilden können und ambiguous VDPVs, die weder in Menschen mit Immundefizient auftreten, noch zirkulieren (Polio global erdaication initiative, 2016).
    • Beim Übergang von OPV zu IPV Impfschemata kann es hilfreich sein, ein IPV-OPV-Impfschema anzustreben, um den Impfling durch die IPV vor den Lebendviren zu schützen und VAPP zu reduzieren (Ciapponi et al., 2019).
    • Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Fieber, Durchfall und Schwäche sind die häufigsten Nebenwirkungen. Manchmal kann es auch zu Lähmungen, asthmaähnlichen Symptomen (Nzolo et al., 2013), Meningitis, Enzephalitis, Krämpfen, transversaler Myelitis und Guillain-Barré-Syndrom kommen (Friedrich, 1998).
    • Die Number needed to vaccinate (NNV) für OPV während der Impfkampagnen in Ländern mit niedrigem bis mittlerem Einkommen wird auf 68 bis 230 Kinder geschätzt, um einen Todesfall zu verhindern (Andersen et al., 2018).
       

    Nicht-spezifische Effekte

    • Einige Studien (darunter auch RCTs) kommen zu dem Ergebnis, dass Impfprogramme mit OPV in Ländern mit niedrigem bis mittlerem Einkommen (wie z. B. Bangladesch) für Kinder positive nicht-spezifische Effekte haben. Es wird eine Verringerung der Kindersterblichkeit um bis zu 25 % durch OPV berechnet. Masernimpfstoffe oder die Versorgung mit Vitamin A erzielten demgegenüber keine vergleichbaren Resultate. Darum sprechen sich Forscher wie Peter Aaby und Christine Stabell Benn für die Entwicklung eines Plans nach der Eradizierung aus, wenn die Polio-Impfprogramme gestoppt werden, um mögliche nachteilige Effekte abzufedern (Andersen et al., 2018; Nielsen et al., 2021).
       

    Informationen zu einer Reiseimpfung

    • Die Immunisierung erfolgt im Kindesalter (s. STIKO Empfehlung) mit einer Auffrischung zwischen 9-16 Jahren. Im Erwachsenenalter ist keine weitere Auffrischung empfohlen. Für Reisende, die sich länger als vier Wochen in Ländern aufhalten, in denen das Wildvirus oder impfstoffabgeleitete Polio-Viren noch zirkulieren, gilt jedoch die Empfehlung einer Auffrischung zwischen einem Jahr und vier Wochen vor der Abreise. Länder, auf die diese Regelung zutrifft, sind:
      Afghanistan, Ägypten, Angola, Äthiopien, Benin, Burkina Faso, D. R. Kongo, Elfenbeinküste, Ghana, Guinea, Iran, Kamerun, Kongo (Brazzaville), Liberia, Malaysia, Mali, Niger, Nigeria, Pakistan, Philippinen, Sierra Leone, Sudan, Südsudan, Somalia, Tadschikistan, Togo, Tschad, Zentralafrikanische Republik (Kling et al., 2021).
    • Außerdem gibt es Länder, in denen bei Einreise aus polio-endemischen Ländern ein Impfnachweis erforderlich ist.
      Dazu zählen: Ägypten, Brunei Darussalam, Georgien, Indien, Iran, Irak, Jordanien, Katar, Libyen, Malediven, Marokko, Nepal, Oman, Pakistan, Philippinen, Saint Kitts und Nevis, Saudi-Arabien, Somalia, Syrien, Ukraine (Kling et al., 2021).
  • Die Empfehlungen

    • Die STIKO empfiehlt allen Säuglingen, Kindern und Jugendlichen eine IPV-Impfung, Jugendlichen und Erwachsenen wird zudem eine Auffrischimpfung empfohlen.
    • Dabei soll nach dem 2+1-Schema vorgegangen werden: 3 Impfstoffdosen in den ersten beiden Lebensjahren. Frühgeborene sollen weiter nach dem 3+1-Schema, vier Impfstoffdosen im Alter von 2, 3, 4 und 11 Monaten, geimpft werden.
    • Als vollständig immunisiert gelten nur Erwachsene, die im Säuglings- oder Kleinkindalter eine vollständige Grundimmunisierung sowie mit einem Abstand von 10 Jahren eine Auffrischimpfung erhalten haben. Ein späterer Zeitpunkt zur Grundimmunisierung nach Angaben der Hersteller wäre aber auch möglich.
    • Laut STIKO ist die Empfehlung solange notwendig, bis die Eradikation der Poliomyelitis erreicht ist und weltweit keine Polioviren mehr zirkulieren.

    (Robert Koch-Institut, 2022)
     

    Kritik an den STIKO-Empfehlungen

    • Bis 1998 war die OPV-Impfung durch die STIKO empfohlen, obwohl bei den Impfstoffen das Risiko für die Verbreitung von impfstoffabgeleiteten Polioviren (VAPP) gegeben war. Das Risiko einer VAPP wird vom RKI mit 1-2 Fällen pro eine Million Einwohner angegeben. Dadurch traten in den Folgejahren bis zu 3 VAPP-Fälle pro Jahr auf (Robert Koch-Institut, 2022).
    • Die Möglichkeit von erneuten Polio-Fällen ist in Deutschland nicht auszuschließen (Nationale Kommission für Polioeradikation in Deutschland, 2022). Durch die Verwendung der IPV-Impfstoffe seit 1998 ist zwar ein zuverlässiger Schutz vor Erkrankung gegeben, die fehlende Darmschleimhautimmunität ermöglicht jedoch die Infektion, Ausscheidung und Weiterverbreitung durch Geimpfte (Robert Koch-Institut, 2022).
    • Eines der genannten Risiken muss in Kauf genommen werden: VAPP oder Einschleppung und Weiterverbreitung von noch in endemischen Ländern zirkulierenden Polioviren. Somit ist keiner der bisher entwickelten Polio-Impfstoffe, sei es der OPV-Impfstoff oder der von der STIKO empfohlene IPV-Impfstoff, in seiner Wirkung optimal.
    • Die STIKO könnte daher eine Kombinationsstrategie (nach Knolle et al., 2004) mit dem neuartigen, stabileren nOPV2-Impfstoff evaluieren, um die Vorteile einer Grundimmunität und Darmschleimhautimmunität zu verbinden und so einen Herdenschutz zu erreichen. Diese Evaluation sollte jedoch auch die wahrscheinlich baldige Eradikation des Serotyps WPV1 und damit aller zirkulierenden Wildtypen berücksichtigen. Dies würde, wie das RKI selbst schreibt, eine Impfung gegen Polio obsolet machen (Robert Koch-Institut, 2022).
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Stand: 24. Juni 2024
Nächste Aktualisierung: 1. Juli 2025
Erstveröffentlichung: 4. Juli 2023

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