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Windpocken (Varizellen)

Wie sieht die derzeitige epidemiologische Situation bei Windpocken (Varizellen) aus? Was sind mögliche Komplikationen nach einer Infektion? Wann macht eine Impfung Sinn? Und welche Therapiemöglichkeiten gibt es? Antworten auf diese und weitere Fragen finden Sie im nachfolgenden Fachbeitrag.

Vorbemerkung

Die folgenden Ausführungen dienen der Information und ersetzen keinesfalls das ärztliche Beratungsgespräch. Hier werden Fakten präsentiert, die Eltern wie auch Ärztinnen und Ärzten in einem Aufklärungsgespräch helfen können. Ärztinnen und Ärzte für individuelle Impfentscheidung e. V. (ÄFI) übernimmt keine Garantie für Vollständigkeit, hat die hier verfügbaren Inhalte jedoch nach bestem Wissen und mit wissenschaftlicher Unterstützung durch Dr. med. Steffen Rabe (impf-info.de) zusammengetragen. Über die wissenschaftliche Arbeit des Vereins erfahren Sie hier mehr. Der Fachbeitrag wird jährlich aktualisiert. Das dargelegte Wissen entspricht dem Kenntnisstand zum angegebenen Veröffentlichungsdatum.

Fachbeitrag

  • Erreger

    • Varizella-Zoster-Virus (VZV), ein Herpesvirus.
       

    Infektionsmodus

    • Kontaktinfektion, d. h. direkter Kontakt mit den Bläschen; Tröpfcheninfektion sind von untergeordneter Bedeutung; Übertragung durch die Luft („Windpocken“) ist fraglich.
    • Infektiosität ab 2 Tage vor bis 5 Tage nach Ausbruch der Hauterscheinungen.
    • Die Gürtelrose/Herpes Zoster (s. u.) ist nur gering ansteckend, da nur die virushaltige Bläschenflüssigkeit infektiös ist (RKI, 2010).
    • Inkubationszeit meist 14 – 16 Tage (10 – 21 maximal).
       

    Infektionsverlauf

    • Schubweise auftretender, bläschenförmiger Hautausschlag an Haut und Schleimhaut, dann Verkrusten der Bläschen.

    Es werden folgende Sonderformen unterschieden:

    • Windpocken der Mutter in der Schwangerschaft führen in etwa 2 % der Fälle zum sogenannten fetalen Varizellen-Syndrom mit multiplen Fehlbildungen des Kindes an der Haut und dem zentralen Nervensystem.
    • Neugeborenen-Windpocken: Windpocken der Mutter in der Zeit 5 Tage vor bis 2 Tage nach der Geburt führen oft zu schweren Verlaufsformen mit einem hohen Komplikationsrisiko.
    • Windpocken bei immuninkompetenten Patienten (angeborene Immundefekte, Kortison- oder Chemotherapie) verlaufen oft schwer mit einem hohen Komplikationsrisiko.
    • Herpes Zoster (Gürtelrose) ist ein Rückfall meist im höheren Lebensalter durch Reaktivierung der im Körper lebenslang verbleibenden VZ-Viren mit halbseitigen Nervenschmerzen und halbseitigem Hautausschlag.
       

    Komplikationen

    • Hautinfektionen mit Streptokokken, Abszessbildung, evtl. mit generalisierter Infektion; Lungenentzündung, Hepatitis, Gelenkentzündung, Herzmuskelentzündung oder immunologische Nierenentzündung.
    • Relativ häufig: Kleinhirnentzündung mit Gangunsicherheit (Ataxie, gute Prognose).
    • Sehr selten: Hirnentzündung (Enzephalitis, schlechte Prognose).
    • Immunologische Entzündung der Hirngefäße (Vaskulitis) mit schlaganfallähnlichem Bild.
       

    Epidemiologie und Häufigkeit der Komplikationen

    • Da Windpocken in Deutschland erst seit März 2013 meldepflichtig sind, fehlen verlässliche Zahlen zu Erkrankungshäufigkeit und Komplikationsrisiko. Für 2019 gibt das RKI 22681 Fälle an, für 2021 nur noch 11321 (RKI, 2021).
    • Laut RKI verstarben an Windpocken 2020 deutschlandweit insgesamt 2 Patienten (beide Ü70): eine 89-jährige Frau und ein 75-jähriger Mann (RKI, 2021).
    • Dies deckt sich mit der einschlägigen pädiatrischen Fachliteratur, der zufolge Windpockenkomplikationen im Wesentlichen immungeschwächte Patienten oder nicht-immune Schwangere bzw. deren Kinder bedrohen, für die Mehrzahl der immunologischen Normalbevölkerung im Kindesalter jedoch in der Regel komplikationslos verlaufen.
    • Im Übrigen existieren lediglich einige ältere, mit teilweise massiven methodischen Mängeln behaftete Studien. So errechnet die ESPED (Erhebungseinheit für seltene pädiatrische Erkrankungen in Deutschland) in einer Untersuchung von 1997 für immunkompetente Kinder bis 16 Jahren eine Häufigkeit von Komplikationen, die eine stationäre Behandlung erforderlich machten, von weniger als 1 pro 100.000 Kinder und Jahr. Bleibende Folgeschäden wurden in dieser Untersuchung bei 6 Kindern festgestellt, Todesfälle wurden keine berichtet (Ziebold et al., 2001).
    • Die ESPED erhob 2003/2004 nochmals Windpocken-assoziierte Komplikationen, die zu stationärer Behandlung führten. Diesmal wurde - passend zur geplanten Impfempfehlung - eine Komplikationshäufigkeit von fast 4 pro 100.000 Kinder und Jahr gefunden (RKI, 2005).
    • Im Vorfeld der STIKO-Impfempfehlung ließ der Impfstoffhersteller eine methodisch völlig inakzeptable Telefonbefragung durchführen und als „Studie“ veröffentlichen. Die erhobenen und daraus hochgerechneten Zahlen wurden in einschlägigen Fachzeitschriften mehrfach massiv in Frage gestellt. So litten fast 10 % der beteiligten Kinder an Immundefekten, sodass die beobachteten knapp 6 % komplizierter Verläufe theoretisch allein in dieser Untergruppe hätten stattfinden können. Darüber hinaus entfiel ein Drittel der „Komplikationen“ auf Erkrankungen (Bronchitis, Mittelohrentzündung), die nach heutigem Kenntnisstand in keinerlei Zusammenhang mit den Windpocken stehen (arznei-telegramm, 2004).
    • Hinsichtlich der Komplikationen stellt das RKI fest:

      „Die häufigste infektiöse Komplikation ist eine bakterielle Superinfektion der Hautläsionen, meist verursacht durch Streptococcus pyogenes oder Staphylococcus aureus. Eine sehr schwerwiegende Komplikation ist die Varizellenpneumonie. Sie tritt häufiger bei Erwachsenen (bis zu 20 % aller Erkrankungen) als bei Kindern auf und beginnt gewöhnlich 3 – 5 Tage nach dem Krankheitsausbruch. Schwangere Frauen sind besonders gefährdet.

      ZNS-Manifestationen sind in etwa 0,1 % der Erkrankungen zu verzeichnen und äußern sich in meningealer Reizung und akuter zerebellärer Ataxie, die jedoch eine günstige Prognose besitzt. Weitere mögliche, auch schwerwiegendere Komplikationen, die das Nervensystem betreffen, sind eine aseptische Meningitis, Enzephalitis, Myelitis transversa, ein Guillain-Barré-Syndrom oder ein Reye-Syndrom.

      In Einzelfällen kann es zu Myokarditis, kornealen Läsionen, Nephritis, Arthritis, Blutungsneigung, akuter Glomerulonephritis und Hepatitis kommen(RKI, 2017).
       
    • Eine niederländische Untersuchung von 2014 bestätigte jedoch noch einmal die niedrigen Komplikationsraten: In den Niederlanden (wo die Windpockenimpfung nicht allgemein empfohlen ist) war eine stationäre Betreuung von an Windpocken erkrankten Kindern bei lediglich 2 von 100.000 Kindern und Jahr erforderlich (van Lier et al., 2014).
    • Insgesamt betrachtet sind vor allem in ihrem Abwehrsystem beeinträchtigte Menschen von Windpockenkomplikationen bedroht. Bei immunkompetenten Patienten verlaufen sie in der Regel unproblematisch und ohne Komplikationen.
    • Auch bei den Windpocken sind in der immunologischen Normalbevölkerung vor allem Säuglinge im ersten Lebensjahr und Erwachsene ab dem 16. Lebensjahr durch Komplikationen bedroht. Genau in diese Altersgruppen drohen flächendeckende Impfprogramme jedoch die Erkrankungshäufigkeiten zu verschieben.
       

    Besonderheiten

    Kinder, die Windpocken durchgemacht haben, erkranken - verglichen mit Windpockengeimpften – wenn, dann später und wesentlich leichter an Asthma bronchiale und haben eine geringere Allergiebereitschaft (Silverberg et al., 2009).

    Therapie- und Prophylaxemöglichkeiten

    • Mit Acyclovir steht ein wirksames virushemmendes Medikament zur Verfügung, das im Falle komplizierter Verläufe zur Anwendung kommt.
    • Sonst: Symptomatische Therapie mit juckreizstillenden Medikamenten.
    • Wichtig: Keine Acetylsalicylsäure zur Fiebersenkung einsetzen!

    Passive Impfung

    • Bei hochgefährdeten Patienten eventuell Immunglobulingabe nach Inkubation.
  • Hinweis: Die Windpocken-Impfung kann mit den derzeit in Deutschland zugelassenen Präparaten sowohl einzeln als auch in Form einer Masern-Mumps-Röteln-Windpocken-Kombination (MMRV) verimpft werden. Weitere Informationen zu Wirksamkeit und Nebenwirkungen der verfügbaren Kombinationsimpfstoffe finden Sie unter Masern: Die Impfung.
     

    Wirksamkeit

    • Die Wirksamkeit der Windpockenimpfung ist in Ausmaß und Schutzdauer unbefriedigend. Immer wieder werden auch länger andauernde Ausbrüche in hochprozentig durchimpften Schulen oder Kindergärten beschrieben (Galil et al., 2002; Lee et al., 2004; Tugwell et al., 2004).
    • Die Schutzwirkung wird mit 20 – 100 % angegeben, wobei der Schutz gegen schwere Verläufe besser zu sein scheint als der vor der Erkrankung überhaupt (Lee et al., 2004; WHO, 2013; WHO, 2014a).
    • Besonders bei der Impfung Jugendlicher ist die Immunantwort auf eine Impfdosis schlecht: Weniger als 80 % zeigen nach der ersten Impfung ausreichende Antikörperspiegel, verglichen mit über 85 % bei einem Impfzeitpunkt im frühen Kindesalter. Dies war einer der Gründe für die Einführung der zweiten Windpockenimpfung (Gershon, Marin & Seward, 2018).
    • Deren Schutzwirkung vor der Erkrankung überhaupt wird von der WHO mit im Mittel 93 % angegeben, der Schutz vor schweren Erkrankungen ist nicht besser als der bei einmaliger Impfung (WHO, 2014a).
    • Spätestens nach 4 Jahren scheint der Impfschutz deutlich nachzulassen und dann insgesamt deutlich unter 90 % zu liegen.
    • Ein im Zusammenhang mit der allgemeinen Impfempfehlung besonders gravierendes Manko ist jedoch die Tatsache, dass mehrere Studien bislang keine Verminderung der windpockenassoziierten Krankenhausaufenthalte nachweisen konnten. Genau mit diesen wird jedoch im Rahmen der STIKO-Empfehlung immer wieder argumentiert (Seward et al.; 2002; Galil et al., 2002; Ratner, 2002).
    • Neuere Studien finden hier zwar eine Verminderung, sind methodisch jedoch fragwürdig, weil die Krankenhausaufenthalte vor der Impfeinführung lediglich retrospektiv geschätzt werden (Shah et al., 2010). Kontrollierte Studien zur Verminderung von schweren Komplikationen oder Todesfällen durch die ein- oder zweimalige Impfung gibt es bis heute nicht (arzneimittel-telegramm, 2014).
    • Nicht einmal die WHO empfiehlt die flächendeckende Windpockenimpfung für alle Kleinkinder, sondern weist ausdrücklich auf die deutlich geringere Belastung/Gefährdung, verglichen mit anderen impfpräventablen Erkrankungen wie Masern, hin (WHO, 2014b). In Europa war Deutschland das erste Land, das eine allgemeine Impfempfehlung ausgesprochen hat - ein Schritt, dem bis heute längst nicht alle Länder in Europa gefolgt sind (ECDC, 2022).
       

    Mögliche Probleme

    • Betrachtet man die Wirksamkeit der Windpockenimpfung, gelten besonders auch hier die Überlegungen zu möglichen epidemiologischen Auswirkungen von Eradikationsprogrammen (vollständige Beseitigung der auslösenden Krankheitsursache). Denn bei nachlassender Immunität gegen den Windpockenvirus (VZV) droht auch Jahre nach durchgemachten Windpocken mit der Gürtelrose (Herpes Zoster/HZ) ein Rückfall durch Reaktivierung der im Körper verbliebenen Windpockenviren.
    • Für das Aufrechterhalten der Immunität gegen den VZV ist offensichtlich ein regelmäßiger Kontakt mit Windpockenkranken oder -inkubierten von überragender Bedeutung: Es lässt sich nachweisen, dass Erwachsene, die mit Kindern leben oder regelmäßigen Kontakt zu diesen (und damit zu Windpocken) haben, ein deutlich geringeres Risiko tragen, an Herpes Zoster zu erkranken. Jeder neue Windpockenkontakt wirkt hier wie eine Auffrischung für das eigene Immunsystem.
    • Eine flächendeckende Windpockenimpfung, die diesen Effekt mittelfristig unterbindet, birgt nach den Autoren zahlreicher Studien das Risiko einer Massenepidemie von Herpes Zoster (Ogunjimi 2015). Dies könnte 50 % der Menschen betreffen, die zum Zeitpunkt der Impfeinführung zwischen 10 und 44 Jahre alt wären (Brisson et al., 2002; Thomas et al., 2002).
    • Amerikanische Forscher rechnen mit zusätzlichen 15 Millionen Fällen von Herpes Zoster bei Erwachsenen unter 50 Jahren innerhalb von 50 Jahren. Sie beziffern die dadurch verursachten Kosten auf 70 Millionen US Dollar - eine Summe, die den erhofften volkswirtschaftlichen Spareffekt durch die Impfung fast vollständig aufzehrt (Goldman, 2003).
    • Untersuchungen aus den USA zeigen eine deutliche Zunahme des HZ bei Kindern und bei Erwachsenen, auch bei denen, die in der Vergangenheit natürliche Windpocken durchlebt hatten, im Gefolge der Impfprogramme. Hier fehlt offenbar die „Auffrischung“ der Immunität durch die zunehmend fehlenden Kontakte mit Wild-Windpocken (Goldman & King, 2013; Wu et al., 2014). Dies gilt offenbar auch für schwere Verlaufsformen der Gürtelrose, etwa wenn diese die Augenregion betrifft („Herpes Zoster ophthalmicus“). Auch hier hat sich das Erkrankungsalter im Gefolge der Windpockenimpfung nach unten verschoben (Davies et al., 2016; Chan et al., 2015).
    • Aus diesen Gründen empfiehlt sogar die von der EU herausgegebene Publikation Eurosurveillance, die Windpockenimpfung nur einzuführen, wenn ein hoher Durchimpfungsgrad rasch erreicht und aufrechterhalten werden kann und darüber hinaus ein funktionierendes Überwachungssystem existiert, um eventuell sich anbahnende epidemiologische Komplikationen rechtzeitig zu erkennen.
    • Diese drohen, so auch die Autoren dieser Veröffentlichung, in Form einer Herpes-Zoster-Zunahme für die nächsten 60 (!) Jahre (Pinot de Moira & Nardone, 2005). Der hohe Durchimpfungsgrad ist in Deutschland seit der Einführung dieser Impfempfehlung im Jahr 2004 noch nicht erreicht. Die Meldepflicht der Erkrankung als Grundlage eines jeden Überwachungssystems wurde 2013, also fast zehn Jahre später, eingeführt.
    • Das ethische Dilemma, dass die VZV-Impfung im Kindesalter das Gürtelrose-Risiko im Erwachsenenalter erhöht und damit der (fragliche) Nutzen einer Bevölkerungsgruppe mit dem (sicheren) Schaden einer anderen erkauft wird, ist mittlerweile so akzeptiert, dass hier sogar philosophische Abwägungen in medizinischen Fachjournalen erscheinen (Luyten et al., 2014).
    • Schließlich führt die mittlerweile erkannte Notwendigkeit der zweimaligen Impfung plus den Kosten für die Zoster-Zunahme die (Kosten-)Effektivität der Impfstrategie ad absurdum:

      „Wenn man die Kosten für die Auffrischungsdosis für Varizellen und die vermehrten Gürtelrose-Rezidive einbezieht, ist das universelle Varizellen-Impfprogramm weder wirksam noch kosteneffektiv“ (Goldman & King, 2014).

      Das ist insofern besonders pikant, weil die Windpockenimpfung die erste war, deren Einführung explizit mit ökonomischen Argumenten begründet wurde.
       
    • In einer Modellrechnung aus dem Jahr 2016 kommt mittlerweile sogar das RKI zu dem Ergebnis, dass angesichts

      - einer kontinuierlichen Abnahme der Impfschutzdauer durch den fehlenden Kontakt zu Wild-Windpocken,
      - der zu erwartenden Verdopplung der (komplikationsreicheren) Erkrankungsfälle bei Erwachsenen,
      - der zumindest für einige Jahrzehnte (!) zu erwartenden Zunahme der Fälle von Gürtelrose,
      - der zumindest für einige Jahrzehnte (!) zu erwartenden Zunahme der Todesfälle an Windpocken und Gürtelrose

      ein sofortiger Stopp der Windpockenimpfung „im Modell langfristig eine Kosteneinsparung“ zeigt (RKI, 2016). Genau diese Kosteneinsparung war 2004 aber das entscheidende Argument für die Einführung der Impfung gegen diese in aller Regel völlig harmlose "Kinderkrankheit" gewesen.
       
    • Kinder, die Windpocken durchgemacht haben, erkranken, verglichen mit Windpockengeimpften, seltener und wenn, dann leichter an Atopischer Dermatitis („Neurodermitis“; Silverberg et al., 2010); wenn, dann später und wesentlich leichter an Asthma bronchiale und haben eine geringere Allergiebereitschaft (Silverberg et al., 2009). Eine generalisierte Windpockenimpfung führt daher unter Umständen zu einem deutlichen Anstieg an (schweren) Asthmaerkrankungen (Ditkowsky et al., 2016).
       

    Nebenwirkungen

    • Zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) liegen uns bis jetzt vor allem Zahlen aus dem amerikanischen Meldesystem VAERS vor. Hier wurden von 1995 – 1998 fast 7000 Verdachtsfälle auf UAWs erfasst. Vier Prozent davon betrafen ernste Komplikationen wie Hirnentzündungen, Rückenmarksentzündungen mit Querschnittslähmung, Krampfanfälle etc. (CDC, 1998), 14 Meldungen betrafen Todesfälle (Wise, Salive & Braun, 2000).
    • Kleinhirnentzündung mit Gangstörung (wie auch bei den Windpocken selbst möglich und für Kinder unter 15 Jahren genauso häufig wie nach der Erkrankung) (van der Maas et al., 2009).
    • Schlaganfälle bei Kindern: In der Literatur finden sich mittlerweile mehrere Fälle von Kindern, die im engen zeitlichen Zusammenhang mit der VZV-Impfung einen Schlaganfall erlitten (Wirrell et al., 2004).
    • Herzmuskelentzündungen: „Obwohl nach vielen verschiedenen Impfungen über Myokarditis berichtet wurde, ist der Zusammenhang mit der Pockenimpfung am stärksten“ (Keinath et al., 2018).
    • Keratitis, d. h. Entzündung der Hornhaut des Auges (Grillo & Fraunfelder, 2017).
    • Gürtelrose gilt als Impffolge (Moodley et al., 2019; Dreyer et al., 2017; Guffey et al., 2017; Kwak et al., 2017; Ulmann et al., 2014; Fahlbusch et al., 2013; Ota et al., 2008), auch bei immunkompetenten Kindern, typischerweise an der Extremität (Arm/Bein), in die geimpft wurde (Horien & Grose, 2012). Aber auch Verläufe im Gesicht (Iwasaki et al., 2016) mit entzündlicher Beteiligung von Auge und Hornhaut sind beschrieben, dies sogar nach der Zweitimpfung (Krall & Kubal, 2014). Diese Impf-Gürtelrose kann ansteckend sein und auch bei immunkompetenten Kontaktpersonen zu schweren Erkrankungen (Meningitis) führen (Davidson & Broom, 2019).
    • Windpockensepsis mit bakteriellem Schocksyndrom (Italiano et al., 2009).
    • Bis zu 10 % der Impflinge entwickeln Impfwindpocken, die auf Kontaktpersonen übertragen werden können. Es sind tödlich verlaufende Fälle von Impfwindpocken beschrieben (Leung et al., 2013).
    • Die auch in Deutschland empfohlene zweite Impfdosis scheint stärker als bei anderen Lebendimpfungen auch mit schweren UAWs in Verbindung zu stehen (Meningitis, Enzephalitis etc.; Su et al., 2017).
  • Die Empfehlungen

    • Die Grundimmunisierung soll im Alter von 11 und 15 Monaten erfolgen, mindestens aber mit einem Abstand von 4 bis 6 Wochen.
    • Da bei Windpocken im Gegensatz zu Masern, Mumps und Röteln sowohl ein Kombinations- als auch ein Einzelimpfstoff zur Verfügung steht, empfiehlt die STIKO bei der ersten Impfung bevorzugt eine Simultanimpfung mit dem MMR-(Masern-Mumps-Röteln) und Varizellen-Impfstoff oder eine Verabreichung eines Einzelimpfstoffes frühestens 4 Wochen nach der MMR-Impfung. Bei einem tetravalenten MMRV-Impfstoff käme es zu einem erhöhten Risiko von Fieberkrämpfen nach der ersten Verabreichung. Bei der zweiten Impfung könne auch ein MMRV-Impfstoff genutzt werden, da dieses Risiko hierbei nicht beobachtet wurde.
    • Die Impfung kann zu jedem Zeitpunkt bis zum 18. Geburtstag nachgeholt werden.
    • Weiterhin sollen seronegative (empfängliche) Personen, die in medizinischen Einrichtungen, in Einrichtungen der Pflege, in Gemeinschaftseinrichtungen oder in Einrichtungen zur gemeinschaftlichen Unterbringung von Asylbewerbern, Ausreisepflichtigen, Flüchtlingen und SpätaussiedlerInnen tätig sind oder tätigkeitsbedingt Kontakt zu potenziell infektiösem Material haben, gegen Windpocken geimpft werden.
       

    Kritik an den STIKO-Empfehlungen

    • Die STIKO und das RKI argumentieren, dass durch die Windpocken-Impfung die Zahl der Varizellen-assoziierten Komplikationen und der Hospitalisierungen rückläufig sind und, dass durch Impfquoten von über 80 % ein Herdenschutz zu erreichen sei (Robert Koch-Institut, 2018). Mehrere Studien konnten bislang jedoch keine Verminderung der windpockenassoziierten Krankenhausaufenthalte nachweisen (Seward et al.; 2002; Galil et al., 2002; Ratner, 2002).
    • Das arznei-telegramm fasst die Situation der Windpockenimpfung prägnant zusammen:

      „Befürworter einer allgemeinen Impfung gegen Varizellen verweisen immer wieder auf mögliche schwere Komplikationen oder tödliche Verläufe der Erkrankung. Dieselben Komplikationen, die bei Infektion mit dem Wildvirus auftreten können, sind jedoch auch in Verbindung mit der Impfung beschrieben, beispielsweise Lungenentzündung, Thrombopenie mit Petechien, Hepatitis, neurologische Störwirkungen einschließlich Ataxie, Krampfanfällen und Schlaganfall sowie zum Teil schwere bakterielle Superinfektionen und tödliche Varizellensepsis. [...]. In den Fachinformationen von VARIVAX und VARILRIX heißt es für die dort aufgeführten Ereignisse lediglich, dass es keine Hinweise darauf gäbe, dass diese nach Impfung häufiger seien als bei Erkrankung durch den Varizella-Wildtyp“ (arzneimittel-telegramm, 2008).

      „Die bereits vor zehn Jahren von der STIKO getroffene Entscheidung, die Varizellenimpfung in den Routineimpfkalender aufzunehmen, halten wir weiterhin für falsch. Sie hat aber dazu geführt, dass Eltern, die vor der Impfentscheidung stehen, von einer veränderten epidemiologischen Situation ausgehen müssen, da ein ungeimpftes Kind nicht mehr unbedingt im Kindesalter an Windpocken erkranken wird. Eine Lösung für dieses von der STIKO geschaffene Dilemma ist derzeit nicht in Sicht“ (arzneimittel-telegramm, 2014).
  • arznei-telegramm. (2004). Alle Kleinkinder gegen Windpocken impfen? at, 35, 80–81. https://www.arznei-telegramm.de/html/2004_08/0408080_01.html

    arzneimittel-telegramm. (2008). Übertragung von Varizellen nach Impfung? at, 39, 48–49. https://www.arznei-telegramm.de/html/2008_04/0804048_01.html

    arzneimittel-telegramm. (2014). Neues zur Varizellenimpfung. at, 45, 115–117. https://www.arznei-telegramm.de/html/2014_12/1412115_01.html

    Brisson, M., Gay, N., Edmunds, W. & Andrews, N. (2002, Juni). Exposure to varicella boosts immunity to herpes-zoster: implications for mass vaccination against chickenpox. Vaccine, 20(19–20), 2500–2507. https://doi.org/10.1016/s0264-410x(02)00180-9

    Centers for Disease Control and Prevention. (1998). Varicella-Related Deaths Among Children -- United States, 1997. MMWR, 47(18), 365–384. https://www.cdc.gov/mmwr/preview/mmwrhtml/00052600.htm

    Chan, A. Y., Conrady, C. D., Ding, K., Dvorak, J. D. & Stone, D. U. (2015, Mai). Factors Associated With Age of Onset of Herpes Zoster Ophthalmicus. Cornea, 34(5), 535–540. https://doi.org/10.1097/ico.0000000000000362

    Davidson, N. & Broom, J. (2019, Januar). Vaccine strain varicella zoster virus transmitted within a family from a child with shingles results in varicella meningitis in an immunocompetent adult. Internal Medicine Journal, 49(1), 132–133. https://doi.org/10.1111/imj.14178

    Davies, E. C., Pavan-Langston, D. & Chodosh, J. (2003, 15. Juli). Herpes zoster ophthalmicus: declining age at presentation. British Journal of Ophthalmology, 100(3), 312–314. https://doi.org/10.1136/bjophthalmol-2015-307157

    Ditkowsky, J., Kohlhoff, S. & Smith-Norowitz, T. A. (2016, September). The Cost–effectiveness of Varicella Zoster Virus Vaccination Considering Late Onset Asthma. Pediatric Infectious Disease Journal, 35(9), e275–e284. https://doi.org/10.1097/inf.0000000000001215

    Dreyer, S., Hemarajata, P., Hogeling, M. & Henderson, G. P. (2017, 25. September). Pediatric vaccine-strain herpes zoster: a case series. Pediatric Dermatology, 34(6), 665–667. https://doi.org/10.1111/pde.13265

    ECDC. (2022). Varicella: Recommended vaccinations. Vaccine Scheduler. Abgerufen am 29. September 2022, von https://vaccine-schedule.ecdc.europa.eu/Scheduler/ByDisease?SelectedDiseaseId=11&SelectedCountryIdByDisease=-1

    Fahlbusch, M., Wesselmann, U. & Lehmann, P. (2013, 30. Januar). Herpes zoster nach Varicella-Zoster-Virus-Impfung. Der Hautarzt, 64(2), 107–109. https://doi.org/10.1007/s00105-012-2477-x

    Galil, K., Lee, B., Strine, T., Carraher, C., Baughman, A. L., Eaton, M., Montero, J. & Seward, J. (2002, 12. Dezember). Outbreak of Varicella at a Day-Care Center despite Vaccination. New England Journal of Medicine, 347(24), 1909–1915. https://doi.org/10.1056/nejmoa021662

    Gershon A.A., Marin M. & Seward J.F. (2018). Varicella vaccines. In: Plotkin S.A., Orenstein W.A., Offit P.A., Edwards K.M., editors. Plotkin’s Vaccines. seventh ed. Elsevier, 1145–1180.

    Goldman, G. (2003, Oktober). Varicella susceptibility and incidence of herpes zoster among children and adolescents in a community under active surveillance. Vaccine, 21(27–30), 4238–4242. https://doi.org/10.1016/s0264-410x(03)00461-4

    Goldman, G. & King, P. (2013, März). Review of the United States universal varicella vaccination program: Herpes zoster incidence rates, cost-effectiveness, and vaccine efficacy based primarily on the Antelope Valley Varicella Active Surveillance Project data. Vaccine, 31(13), 1680–1694. https://doi.org/10.1016/j.vaccine.2012.05.050

    Goldman, G. & King, P. (2014, 25. November). Vaccination to prevent varicella. Human & Experimental Toxicology, 33(8), 886–893. https://doi.org/10.1177/0960327113512340

    Grillo, A. & Fraunfelder, F. (2017). Keratitis in association with herpes zoster and varicella vaccines. Drugs of Today, 53(7), 393. https://doi.org/10.1358/dot.2017.53.7.2667582

    Guffey, D. J., Koch, S. B., Bomar, L., & Huang, W. W. (2017). Herpes zoster following varicella vaccination in children. Cutis, 99(3), 207–211.

    Horien, C. & Grose, C. (2012, September). Neurovirulence of Varicella and the Live Attenuated Varicella Vaccine Virus. Seminars in Pediatric Neurology, 19(3), 124–129. https://doi.org/10.1016/j.spen.2012.02.006

    Italiano, C. M., Toi, C. S., Chan, S. P. & Dwyer, D. E. (2009, April). Prolonged varicella viraemia and streptococcal toxic shock syndrome following varicella vaccination of a health care worker. Medical Journal of Australia, 190(8), 451–453. https://doi.org/10.5694/j.1326-5377.2009.tb02498.x

    Iwasaki, S., Motokura, K., Honda, Y., Mikami, M., Hata, D. & Hata, A. (2016, Dezember). Vaccine-strain herpes zoster found in the trigeminal nerve area in a healthy child: A case report. Journal of Clinical Virology, 85, 44–47. https://doi.org/10.1016/j.jcv.2016.10.022

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Stand: 15. Okt. 2024
Nächste Aktualisierung: 15. Okt. 2025
Erstveröffentlichung: 18. Okt. 2022

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