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Aktualisierte Materialien zur einrichtungsbezogenen Covid-19-Impfpflicht (§20a IfSG)

Hier können Sie die Materialien herunterladen: Muster-Widerspruch und Muster-Erwiderung

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Beschluss vom 27.04.2022 eine erste Verfassungsbeschwerde gegen die einrichtungsbezogene Impfpflicht für die Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegebereich abgewiesen. ÄFI war in diesem Verfahren als sog. sachkundiger Dritter angefragt worden und hatte eine ausführliche Stellungnahme abgegeben. Durch den Beschluss des BVerfG sind jedoch nicht alle Einwände gegenüber der einrichtungsbezogenen Impfpflicht entkräftet.

ÄFI unterstützt weitere Beschwerdeführer

Außerdem hat ÄFI eine ausgewählte Gruppe von 14 Beschwerdeführenden im Rahmen einer weiteren Verfassungsbeschwerde unterstützt, die sich gegen eine staatliche Impfpflicht und für die Wahrung einer selbstbestimmten individuellen Impfentscheidung einsetzen. Dieses Verfahren ist noch nicht entschieden und unter Aktenzeichen 1 BvR 304/22 weiterhin anhängig. Es ist aber natürlich eher unwahrscheinlich, dass das Bundesverfassungsgericht in diesem Verfahren grundsätzlich anders entscheiden wird. 

Dennoch ist anzumerken:

Durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 27.04.2022 sind nicht alle Einwände gegen die einrichtungsbezogene Impfpflicht entkräftet. Mit durchaus zentralen Einwänden hat sich das Bundesverfassungsgericht bislang nicht befasst und sich nicht dazu geäußert.

So hat das Bundesverfassungsgericht in dem Verfahren 1 BvR 2649/21 keine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (allgemeiner Gleichheitssatz) geprüft.

Auch hat sich das Bundesverfassungsgericht bislang einer abschließenden Bewertung enthalten, ob die vom Gesetzgeber zunächst in § 20a IfSG gewählte Technik der sog. doppelten dynamischen Verweisung zur Regelung des Impfnachweises und des Genesenennachweises nun verfassungswidrig war oder nicht. Damit hat das Bundesverfassungsgericht bislang den Umstand nicht berücksichtigt, dass der Gesetzgeber die monierte Regelung erst zum 19.03.2022 und damit nach der Scharfschaltung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht zum 15.03.2022 geändert hat.

Die Verfassungswidrigkeit der ursprünglichen Regelungen zum Impfnachweis und zum Genesenennachweis unterstellt, bestand damit zum 15.03.2022 gar keine rechtswirksame Nachweispflicht. Damit erfolgte auch die Meldung des Umstandes der Nichterfüllung der Nachweispflicht zum maßgeblichen Stichtag des 15.03.2022 an das Gesundheitsamt ohne Rechtsgrundlage.

Auch ist die aktuelle Fassung des § 20a IfSG deshalb verfassungswidrig, weil das Gesetz zur Änderung des §20a IfSG und zur Einfügung des § 22a IfSG (Impf-, Genesenen und Testnachweis bei COVID-19; COVID-19-Zertifikate; Verordnungsermächtigung) keine erneute Übergangsregelung vorgesehen hat. Geht man – wie das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 11.02.2022 andeutet – von der Verfassungswidrigkeit der ursprünglichen Regelung zum Impf- und Genesenennachweis aus, wären die Betroffenen mit Inkrafttreten der Neuregelung am 19.03.2022 von einem auf den anderen Tag verpflichtet gewesen, einen Impf- oder sonstigen Nachweis vorweisen zu können. Dies stellt eine grundrechtsrelevante Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes dar.

Außerdem heisst es in dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 27.04.2022 unter Rn 167:

„Allerdings kann eine zunächst verfassungskonforme Regelung später mit Wirkung für die Zukunft verfassungswidrig werden, wenn ursprüngliche Annahmen des Gesetzgebers nicht mehr tragen (BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u.a. -, Rn. 186 m.w.N.)“

So ist es auch hier:

Wesentliche Aussagen des RKI, auf die sich das BVerfG in seinem auf den 27.04.2022 datierenden Beschluss stützt, hält das RKI aktuell nicht mehr aufrecht.

Im Wochenbericht vom 05.05.2022 (S. 24), also nach dem Beschlussdatum des Bundesverfassungsgerichts, hat das RKI dann mitgeteilt, dass ab sofort keine regelmäßigen Informationen zur Wirkung der COVID-19-Impfung mehr vorgesehen seien.

Die bisher vorgenommene und noch vom Bundesverfassungsgericht zitierte Differenzierung nach Impfstatus entfällt deshalb laut RKI seit 5.5.2022: "Das Robert Koch-Institut schätzt die Gefährdung durch COVID-19 für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als hoch ein."

Dieser Satz ersetzt beim RKI seit 5.5.2022 den vom Bundesverfassungsgericht im Beschluss zitierten Satz aus dem Sicherheitsbericht vom 21.04.2022. Von seiner vom Bundesverfassungsgericht noch zitierten Auffassung einer gestuften Infektionsgefährdung Ungeimpfter, doppelt Geimpfter bzw. Genesener und dreifach Geimpfter hat sich das RKI also spätestens mit dem Wochenbericht des RKI vom 05.05.2022 verabschiedet.

Wesentliche Annahmen des Gesetzgebers und auch des Bundesverfassungsgerichts sind damit auf Basis aktueller Erkenntnisse nicht mehr tragfähig.

Wir verweisen ferner auf die kritischen juristischen Kommentare von Prof. Rixen und Dr. Zimmermann zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 27.04.2022.

Durchaus weiterhin offen und unentschieden ist damit die Frage, ob auch aus aktueller heutiger Sicht die Regelungen zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht in § 20a IfSG weiterhin gerechtfertigt und zumutbar sind oder ob diese mittlerweile wegen Verletzung insbesondere der Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG), des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 GG) und der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) verfassungswidrig geworden sind. Denn die diesbezügliche Entscheidung des BVerfG vom 27.04.2022 basiert in wesentlichen Punkten nicht mehr auf dem aktuellen Wissens- und Erkenntnisstand von RKI und Fachwelt.

Vor diesem Hintergrund stehen von der Impfpflicht Betroffene vor der Entscheidung, ob sie weiterhin den vollumfänglichen Rechtsweg gehen wollen. Für diesen Fall stehen hier eine aktualisierte Fassung eines Widerspruches und eine aktualisierte Fassung einer Muster-Erwiderung auf ein Schreiben des Gesundheitsamtes, dass es sich bei der Anforderung gar nicht um einen rechtsmittelfähigen Verwaltungsakt handeln würde, zur Verfügung.

Als Alternative dazu wäre möglich, sich ganz auf die Anhörung und Stellungnahme im Rahmen des Verwaltungsverfahrens auf Verhängung eines Tätigkeits- oder Betretungsverbotes zu konzentrieren und hier diejenigen Argumente zu sammeln und vorzutragen, die im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung der Behörde gegen die Verhängung eines solchen Tätigkeits- oder Betretungsverbotes vorgebracht werden können.

Hierzu empfehlen wir, sich mit einer Anwältin oder einem Anwalt ihres Vertrauens und entsprechender Fachkenntnis auf dem Gebiet des Infektionsschutzgesetzes in Verbindung zu setzen und sich individuell in Bezug auf Ihre Konstellation und ggf. weitere Rechtsschutzmöglichkeiten beraten zu lassen.

Quellen:

Stephan Rixen, 25. Mai 2022

Felix W. Zimmermann, 20. Mai 2022

Robert Koch-Institut, 5. Mai 2022, S. 4

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