Kostenlos: der ÄFI-Newsletter

Bleiben Sie auf dem Laufenden beim Thema

Impfungen & Impfentscheidung und rund um den Verein.

Jetzt anmelden

  • Impfungen & Impfentscheidung
  • Masern-Impfpflicht

Masernimpfpflicht: Vorsicht bei vorläufigen Impfunfähigkeitsbescheinigungen aus dem Internet

Im Internet kursieren Angebote, die Eltern gegen Gebühr eine Impfunfähigkeitsbescheinigung für ihre Kinder anbieten. ÄFI rät zur Vorsicht bei solchen Angeboten und empfiehlt eine persönliche ärztliche und juristische Abklärung.

Viele Eltern sorgen sich wegen der Masernimpfpflicht um die Gesundheit ihrer Kinder und suchen nach Möglichkeiten, der Impfung aus dem Weg zu gehen. Davon zeugen zahlreiche Anfragen an den Verein Ärztinnen und Ärzte für individuelle Impfentscheidung (ÄFI). Nachgefragt werden vor allem die Voraussetzungen, die für die Ausstellung einer Impfunfähigkeitsbescheinigung zur Vorlage beim Gesundheitsamt gegeben sein müssen.

Grundsätzlich ist die Ausstellung einer Impfunfähigkeitsbescheinigung möglich, wenn bei dem zu impfenden Kind eine medizinische Kontraindikation gegen die Masernimpfung vorliegt. Derzeit kursieren Angebote für die Erstellung einer solchen (vorläufigen) Impfunfähigkeitsbescheinigung im Internet.

Ein Beispiel ist Masern.Express (Der Vorläufer „Liberation Express“ desselben Anbieters macht ein ähnliches Angebot für die COVID-19-Impfungen.). Auf der gleichnamigen Webseite wird Eltern ein privatärztliches Gutachten angeboten sowie „alle erforderlichen Unterlagen, um diese Impfunfähigkeit Deines Kindes aufgrund möglicher Allergien formal beim Gesundheitsamt durchsetzen zu können“.

Juristische Lage zu Online-Angeboten ist uneinheitlich

ÄFI empfiehlt, mit Vorsicht an derartige Angebote heranzugehen. Die Rechtslage bezüglich solcher vorläufigen Impfunfähigkeitsbescheinigungen aus dem Internet ist uneinheitlich. Das zeigen gerichtliche Entscheidungen und juristische Einschätzungen zum Vorläufer-Angebot einer vorläufigen Impfunfähigkeitsbescheinigung zur COVID-19-Impfung sowie generell zu vorläufigen Bescheinigungen einer Impfunfähigkeit:

- Das Landgericht Lüneburg sah im September 2022 in der Bescheinigung einer vorläufigen Impfunfähigkeit kein unrichtiges Gesundheitszeugnis, da im vorliegenden Fall kein Gesundheitszustand bescheinigt wurde. Die ausstellende Ärztin hatte lediglich erklärt, dass sie nach freiem Ermessen zu der Einschätzung komme, dass bis zur Abklärung einer schwerwiegenden Allergie gegen einen der in der EU zugelassenen COVID-19-Impfstoffe bei der entsprechenden Person keine Impfung erfolgen solle und sie vorläufig impfunfähig sei. Der Angeschuldigte wurde damit in dem konkreten Fall vom Vorwurf des Gebrauchens eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses nach § 279 StGB freigesprochen (AZ: 22 Qs 55/22).

- Ebenfalls in einer Entscheidung bezüglich einer Impfung gegen SARS-CoV-2 im Rahmen der einrichtungsbezogenen COVID-19-Impfpflicht kam das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen zu der Auffassung, dass beim Nachweis medizinischer Gründe gegen eine Impfung grundsätzlich ein aktuelles ärztliches Attest notwendig sei. Das Gericht erkannte die vorgelegte vorläufige Impfunfähigkeitsbescheinigung nicht als tauglichen Nachweis zur Befreiung von der einrichtungsbezogenen COVID-19 Impf- und Nachweispflicht an. Wörtlich führte das Gericht aus:

„Auch die Bescheinigung vom 00.00.0000 genügt nicht den dargelegten Anforderungen. Eine Kontraindikation wird dort schon insoweit nicht festgestellt, als lediglich eine Überprüfung einer Überempfindlichkeit gegen einzelne Inhaltsstoffe von einem Facharzt für erforderlich gehalten wird. Die Anordnung einer weiteren Untersuchung mit dem Ziel der Feststellung, ob eine Kontraindikation überhaupt besteht, ist nicht geeignet, eine solche nachzuweisen. Auch soweit darüber hinaus die Gefahr gesehen wurde, dass die Patientin insbesondere die aufgezählten Impfnebenwirkungen erleben könnte, legt die Bescheinigung nicht dar, dass und warum bei der Klägerin das Risiko einer Impfnebenwirkung erhöht sein könnte“ (AZ: 2 K 4537/22).

- Das Landgericht Stade urteilte im Oktober 2022, dass das Angebot der Ausstellung einer vorläufigen Impfunfähigkeitsbescheinigung durch eine Ärztin ohne persönlichen Kontakt zum Patienten irreführend sei. Es handele sich um ein unrichtiges Gesundheitszeugnis (AZ: 8 O 31/22).

- Im Falle einer Krankenschwester, die ihrem Arbeitgeber im Rahmen der einrichtungsbezogenen Corona-Impfpflicht eine vorläufige Impfunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt hatte und der daraufhin gekündigt wurde, entschied das Arbeitsgericht Lübeck in einem Fall zugunsten des Arbeitgebers. Die Vorlage einer vorgefertigten ärztlichen Impfunfähigkeitsbescheinigung ohne Untersuchung stelle eine sehr schwere Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten dar, die das Vertrauen in eine ungestörte weitere Zusammenarbeit auch ohne vorherige Abmahnung zerstöre. Es hätte der Krankenschwester klar sein müssen, so das Gericht, dass die vorgelegte Bescheinigung zwar bei der Klinik den Anschein eines ärztlichen Zeugnisses erwecken würde, aber in Wahrheit nicht auf einer ärztlichen Untersuchung beruhte.

Letztlich ist die arbeitsrechtliche Rechtsprechung dazu uneinheitlich. In der Berufungsinstanz haben zwei Kammern des Landesarbeitsgerichts (LAG) Schleswig Holstein über die beiden Fälle mit unterschiedlichem Ausgang entschieden: Die vierte Kammer hält in ihrer Entscheidung die fristlose Kündigung des langjährigen Arbeitsverhältnisses auch nach der Interessenabwägung im Einzelfall für gerechtfertigt (LAG Schleswig-Holstein 24.11.2022 - 4 Sa 139/22). Die fünfte Kammer ist dagegen der Auffassung, die Vorlage der aus dem Internet heruntergeladenen vorläufigen Impfunfähigkeitsbescheinigung sei schon kein „an sich“ geeigneter Grund für eine außerordentliche Kündigung (LAG Schleswig-Holstein 7.12.2022 - 5 Sa 82/22).

Die Entscheidungen des LAG sind beide noch nicht rechtskräftig. Beim Bundesarbeitsgericht (BAG) sind inzwischen Revisionen eingelegt worden unter den Aktenzeichen 2 AZR 55/23 (4 Sa 139/22) und 2 AZR 66/23 (5 Sa 82/22).

- Auch eine mögliche strafrechtliche Relevanz der Praxis vorläufiger Impfunfähigkeitsbescheinigungen wird diskutiert. Die Impfunfähigkeit wird meist als vorläufig eingestuft gemäß den Angaben, welche die zu begutachtende Person gemacht hat. Aufgrund der mit § 278 StGB anvisierten Schutzrichtung ist aber der Eindruck maßgeblich, den ein objektiver Dritter (ggf. nach Auslegung) bei Lektüre der Bescheinigung erhält. Das Attest zielt tendenziell darauf ab, das Ergebnis einer ärztlichen Begutachtung zu sein. Dies ist tatsächlich aufgrund der bloßen Online-Selbstauskunft nicht der Fall, sodass das ärztliche Zeugnis damit aufgrund seines Gesamteindrucks unrichtig i. S. d. § 278 StGB ist. (Quelle: RA Dr. Felix Ruppert, in: medstra 3/2022)

Zur ärztlichen Bescheinigung einer Kontraindikation gegen eine Masernimpfung haben mittlerweile mehrere Gerichte wie folgt geurteilt:

Diese ärztliche Bescheinigung dürfe sich nicht einfach mit der Wiederholung des Gesetzeswortlautes zum Bestehen einer medizinischen Kontraindikation begnügen. Es seien vielmehr wenigstens solche Angaben zur Art dieser Kontraindikation zu machen, die dem Gesundheitsamt die Möglichkeit geben, das ärztliche Zeugnis auf Plausibilität hin zu überprüfen (so u.a. Bayerischer VGH, Beschluss vom 7. Juli 2021 - 25 CS 21.1651 -, juris; Thüringer OVG, Beschluss vom 20. Oktober 2021 - 3 EO 805/20 -, juris).

Nur vorübergehende Gültigkeit des Attestes

Im Fall des Masern Express ist also zu bedenken, dass die Website von einem vorläufigen Gutachten zur Impfunfähigkeit („für längstens 6 Monate“), also einer temporären Lösung spricht. Zudem wird offen kommuniziert, dass die Bescheinigung ein Weg sei, der Masernimpfpflicht zu „entgehen“.

Mag man bei dem Vorgänger-Angebot des Liberation Express mit Blick auf die COVID-19-Impfstoffen noch mit der Neuheit und der beschränkten Erfahrungen und der lediglich bedingt erteilten Zulassung der Impfstoffe argumentiert haben, greifen diese Gesichtpunkte bei den langjährig bekannten Masernimpfstoffen nicht. Es ist fraglich, ob das für alle Menschen bestehende abstrakte und seltene Risiko eines Impfschadens – ohne greifbare Anhaltspunkte medizinischer Besonderheiten im Einzelfall – eine solche temporäre oder sogar dauerhafte Befreiung von der Masernimpf- bzw. Nachweispflicht im Rechtssinne rechtfertigt.  

Diese Aspekte können bei einer Würdigung des konkreten Einzelsachverhaltes negativ herangezogen werden und die Aussagekraft des Nachweises in Zweifel ziehen. Ein weiterer grundsätzlicher Schwachpunkt solcher Angebote: Generelle Einwände gegen die Masern-Impfung werden mit dem Prozedere einer konkreten individuellen Impfunfähigkeitsbescheinigung vermischt.

„All diese Fallstricke gilt es zu beachten, wenn man ein solches Online-Angebot in Anspruch nehmen möchte“, mahnt ÄFI-Vorstandssprecher Dr. med. Alexander Konietzky zur Vorsicht. „Liegen berechtigte Zweifel an der Verträglichkeit der Impfung oder aufgrund anderer, noch nicht anerkannter Kontraindikationen vor, sollten diese individuell mit dem behandelnden Arzt und einem auf diesem Rechtsgebiet erfahrenen Rechtsanwalt / Rechtsanwältin Ihres Vertrauens beraten werden. Bestätigen sich derlei Zweifel, ist auch eine Unterstützung seitens der ÄFI denkbar, etwa um in einem möglichen Klageverfahren den Katalog der anzuerkennenden Kontraindikationen zu erweitern.“

Juristische Fachberatung:

Jan Matthias Hesse

Rechtsanwalt und
Fachanwalt für Medizinrecht
Kanzlei Keller und Kollegen (Stuttgart)

Wie hat Ihnen dieser Artikel gefallen?