- Covid-19-Impfung bei Kindern und Jugendlichen
Impfangebote gegen Covid-19 für Jugendliche ab 12 Jahren: Offene Fragen und rechtliche Hinweise
Bedingte Zulassung der Covid-19-Impfstoffe
Die Impfangebote der Bundesländer stehen bislang unter dem Vorbehalt, dass die europäische Arzneimittelbehörde EMA den Covid-19 Impfstoff von Biontech/Pfizer auch für Jugendliche dieser Altersgruppe ab 12 Jahren zulässt. Diese Zulassungsentscheidung wird allgemein in Kürze erwartet. Erst ab diesem Zeitpunkt, ab dem die Zulassung verfügbarer Impfstoffe auch auf diese Altersgruppe ab 12 Jahren erstreckt wird, ist eine entsprechende Impfung überhaupt rechtlich zulässig.Bei der Zulassungsentscheidung der EMA für die Covid-19 Impfstoffe handelt es sich bislang durchweg um so genannte „bedingte Zulassungen“. Das heißt, es handelt sich zwar um Vollzulassungen, sie sind jedoch mit Auflagen verbunden. Vom Zulassungsinhaber wird verlangt, dass er bestimmte Verpflichtungen (laufende oder neue Studien und in einigen Fällen zusätzliche Aktivitäten) in der vorgegebenen Zeit erfüllt, um umfassende Daten vorlegen zu können, die bestätigen, dass die Nutzen-Risiko-Bilanz weiterhin positiv ist. Dieser Umstand einer lediglich „bedingten Zulassung“ berücksichtigt, dass der Beobachtungszeitraum zu den neuartigen Impfstoffen gegen Covid-19 und die Zeiträume der klinischen Studien bislang noch sehr kurz sind.
Zulassungsentscheidung der EMA / Impf-Empfehlung der STIKO
Von der Zulassungsentscheidung der EMA sind die Impf-Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) zu unterscheiden. Gegenstand der Zulassungsentscheidung der EMA sind die Merkmale der „Wirksamkeit“, der „Qualität“ und der „Sicherheit“ der Impfstoffe. Diese Merkmale wurden von der EMA geprüft und durch die (bedingte) Zulassungsentscheidung (vorläufig) bestätigt.
Gegenstand der Impf-Empfehlungen der STIKO (vgl. § 20 Abs. 2 IfSG) ist hingegen die Frage, ob und für welche Bevölkerungsgruppen und Indikationen auch ein konkreter Nutzen im Sinne eines Vorteils und einer positiven Nutzen-/Risiko-Abwägung für einzelne Impfungen festgestellt werden kann. Eine solche Impf-Empfehlung für Covid-19-Impfstoffe für die Altersgruppe der Jugendlichen ab 12 Jahren hat die STIKO bislang nicht ausgesprochen. Äußerungen einzelner STIKO-Mitglieder lassen vermuten, dass die STIKO zum gegenwärtigen Zeitpunkt eher keine allgemeine Impf-Empfehlung für diese Altersgruppe aussprechen wird, sondern lediglich eine begrenzte Impf-Empfehlung für bestimmte Risikogruppen dieser Altersgruppe (siehe dazu Berichte in der Tagesschau, im Deutschen Ärzteblatt (online) und der Ärztezeitung).
Rechtliche Konsequenzen fehlender STIKO-Empfehlung
Was bedeutet nun diese etwaige fehlende Impf-Empfehlung der STIKO betreffend Covid-19-Impfungen bei dieser Altersgruppe der Jugendlichen ab 12 Jahren für diese Impfangebote? Es handelt sich bei den so genannten Impfangeboten nicht lediglich um Angebote, die frei angenommen oder abgelehnt werden können. Mit Blick auf die fehlende Impf-Empfehlung der STIKO sind damit vielmehr auch rechtliche Konsequenzen verbunden. Dies betrifft vor allem die Frage, ob im Falle des Eintretens eines Impfschadens ein Entschädigungsanspruch des Staates (ein so genannter „Versorgungsanspruch“) besteht oder nicht. Nach § 60 Abs. 1 Nr. 1 IfSG besteht ein solcher Entschädigungsanspruch nur dann, wenn es sich um eine Impfung handelt, die von der zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen wurde.
Diese verbindlichen Impf-Empfehlungen der Landesbehörden (vgl. dazu § 20 Abs. 3 IfSG) orientieren sich üblicherweise eng an den STIKO-Empfehlungen. Es stellt sich somit die Frage, ob die zuständigen Landesbehörden entgegen der (gegenwärtig) fehlenden STIKO-Empfehlung ihrerseits eine eigenständige Impf-Empfehlung gegen Covid-19 für diese Altersgruppe aussprechen werden oder nicht. Ohne eine solche öffentliche Impf-Empfehlung der Bundesländer dürfte keine gesetzliche Haftungsgrundlage für einen staatlichen Entschädigungsanspruch im Falle des Auftretens eines Impfschadens bestehen. Aus Sicht des Unterzeichners handelt es sich bei dieser ggf. fehlenden Rechtsgrundlage für einen staatlichen Entschädigungsanspruch im Falle eines Impfschadens auch um einen Umstand, über den vor der Impfung aufgeklärt werden muss.
Offene Fragen
Es empfiehlt sich deshalb, bei der Abwägung über die Inanspruchnahme dieses Impfangebots durch Jugendliche ab der Altersgruppe von 12 Jahren mit Blick auf die Rechtslage eines möglichen Entschädigungsanspruches folgende Fragen – z.B. mit dem örtlichen Anbieter des Impfangebots (der Schule oder des Impfzentrums) – abzuklären:
- Steht das Impfangebot für Schülerinnen und Schüler ab 12 Jahren auch unter dem Vorbehalt einer entsprechenden STIKO-Empfehlung für diese Altersgruppe?
- Liegt – bei Fehlen bzw. Ausbleiben einer Impf-Empfehlung der STIKO – eine öffentliche Impf-Empfehlung der jeweils zuständigen Landesbehörde im Sinne von § 60 Abs. 1 Nr. 1 IfSG betreffend eine Impfung gegen Covid-19 in der Altersgruppe ab 12 Jahren vor?
- Besteht nach der Rechtsauffassung des Anbieters der Impfung ein staatlicher Entschädigungsanspruch (Versorgungsanspruch nach § 60 IfSG) im Falle des Eintretens eines Impfschadens infolge einer Impfung gegen Covid-19 im Rahmen dieses Impfangebotes auch dann, wenn keine öffentliche Impf-Empfehlung hierzu im Sinne von § 60 Abs. 1 Ziffer 1 IfSG seitens der Landesbehörde für diese Altersgruppe von Jugendlichen ab 12 Jahren vorliegt? Auf welcher Rechtsgrundlage?
- Enthalten der Aufklärungs- und der Einwilligungsbogen des Anbieters entsprechende Hinweise auf den ggf. fehlenden Rechtsanspruchs auf Entschädigung (öffentlich-rechtlicher Versorgungsanspruch nach § 60 IfSG) im Falle des Auftretens eines Impfschadens nach einer Covid-19-Impfung bei Schülerinnen und Schülern ab 12 Jahren im Rahmen dieses Impfangebotes, solange und soweit keine öffentliche Empfehlung einer Landesbehörde vorliegt?
Aufklärung vor der Impfung
Bei den zum Teil ins Gespräch gebrachten Reihenimpfungen an Schulen ist außerdem zu beachten: Für öffentliche Impftermine (z.B. bei Schulimpfprogrammen) wird eine vorherige Aufklärung in schriftlicher Form und ggf. auch die Einholung einer schriftlichen Einwilligungserklärung empfohlen. Das entbindet den Arzt allerdings nicht von seiner gesetzlichen Verpflichtung, die zu impfende Person bzw. die Eltern oder Sorgeberechtigten zusätzlich auch mündlich aufzuklären, um ihnen die Möglichkeit für Rückfragen zu geben (siehe dazu die Mitteilung des RKI).
Auch stellt sich insbesondere bei Jugendlichen ab 12 Jahren die Frage, ob die Schüler selbst oder die sorgeberechtigten Eltern oder beide Beteiligten aufzuklären sind, und wer in die Impfung letztlich einwilligungsberechtigt ist: Das RKI erklärt dazu: „Bei Minderjährigen unter 14 Jahren ist regelmäßig die Einwilligung der Eltern bzw. Sorgeberechtigten einzuholen. Jugendliche können selbst einwilligen, wenn sie die erforderliche Einsichts- und Entscheidungsfähigkeit besitzen; das ist in der Regel mit 16 Jahren der Fall. Allerdings ist es stets Aufgabe des impfenden Arztes, im Einzelfall festzustellen, ob der Jugendliche 'nach seiner geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und seiner Gestattung zu ermessen vermag' (BGHZ 29, 33 – 37). Gem. § 630e Abs. 5 S. 1 BGB ist auch der einwilligungsunfähige Patient entsprechend seinem Verständnis aufzuklären, soweit er aufgrund seines Entwicklungsstandes und seiner Verständnismöglichkeit in der Lage ist, die Erläuterungen aufzunehmen und dies seinem Wohl nicht zuwider läuft.“
All dies wäre selbstverständlich auch bei Reihenimpfungen an Schulen zu beachten, sofern diese tatsächlich in dieser Form organisiert werden sollten.
Jan Matthias Hesse
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht
Kanzlei Keller & Kollegen, Stuttgart
Update 14.06.2021:
- Die EMA hat Comirnaty für Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren zugelassen
- Die STIKO hat ausdrücklich keine allgemeine Impf-Empfehlung für Kinder und Jugendlichen ausgesprochen.
- Bislang liegt eine solche Empfehlung auch von keiner Landesgesundheitsbehörde vor.