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Aus Ärzten mache Impf-luencer
Was ist die „Vorhaltepauschale“?
Die Vorhaltepauschale (Gebührenziffer 03040) wurde 2013 als weitere Pauschalzahlung für Kassenärzte eingeführt. Sie soll helfen, hausärztliche Versorgung und das Vorhandensein dafür notwendiger Strukturen finanziell zu sichern. Gerade für kleine Praxen im ländlichen Raum mit weniger Behandlungsfällen soll sie eine Einnahmequelle unabhängig von den (schwankenden) tatsächlich erbrachten Leistungen und von den „Deckelungen“ der Einnahmen durch die festgelegten Budgets der gesetzlichen Kassen darstellen. Abgerechnet wird sie quartalsweise über die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV).
Der Wert der Pauschale betrug bislang 138 Punkte (das entspricht 17,10 €), in der geplanten Neuregelung sinkt dieser Wert geringfügig auf 128 Punkte und damit 15,86 €. Diesen Betrag bekommt eine Hausarztpraxis in jedem Quartal für jeden bei ihr registrierten Patienten, der die Praxis besucht hat, bei dem aber keine fachärztlichen Leistungen erbracht wurden (Untersuchung, Beratung, Rezept etc. sind keine fachärztlichen Leistungen, ein Ultraschall z. B. aber sehr wohl). Bei Praxen mit mehr als 1.200 Behandlungsfällen pro Arzt und Quartal gibt es einen Zuschlag, bei Praxen mit weniger als 400 Fällen einen Abschlag. Aber es gibt noch mehr und deutlich problematischere Zu- und Abschlagsregelungen:
Führt ein Arzt weniger als zehn Schutzimpfungen im Quartal durch, wird die Vorhaltepauschale um 40% gekürzt. Aus den 15,86 € werden somit schmale 9,51 €. Neben diesem Abschlag gibt es aber auch mögliche Zuschläge.
Impf Dich reich?
Bei Erfüllung von mindestens zwei der zehn dafür festgelegten Kriterien erfolgt ein Zuschlag von 10 Punkten, bei Erfüllung von mindestens acht Kriterien von 30 Punkten. Zu den Kriterien gehören u.a. Hausbesuche, Kooperation mit Pflegeheimen, Ultraschalldiagnostik, Wundversorgung und: Schutzimpfungen. Für jedes Kriterium wurden Anforderungen festgelegt.
So gilt für das Kriterium Schutzimpfungen, dass im 1., 2. und 3. Quartal des Jahres mindestens 7% der Behandlungsfälle Schutzimpfungen sein müssen, im 4. Quartal sogar 25%. Nur dann ist das Kriterium erfüllt und hilft bei der Erlangung des oben erwähnten Zuschlags. Hinter dem höheren Sollwert für das 4. Quartal steckt natürlich die saisonale Grippeimpfung.
Obwohl es sich um eine Patienten-Pauschale handelt, werden nicht die geimpften Patienten gezählt, sondern die Zahl der Impfungen. Mehrfachimpfungen werden stets nach der Zahl der Impfungen bewertet. Die gleichzeitige Impfung eines Patienten gegen Influenza, COVID-19 und RSV zählt dreifach.
Jedem kritischen Betrachter drängt sich der Eindruck auf, dass hier ein ökonomischer Anreiz bzw. im Fall des drohenden Abschlags ein ökonomischer Nachdruck aufgebaut werden soll. Aber fragen wir doch zunächst mal wohlwollend: Worin könnte der positive Sinn einer solchen Regelung liegen?
Das Gegenteil von gut ist gut gemeint
Zunächst dient die Pauschale ja dem Ziel, ärztliche Angebote in der Fläche zu erhalten und zu gewährleisten, dass Patienten überall die entsprechenden Leistungen bekommen können. Insofern ist eine behandlungs-unabhängige Zahlung an Arztpraxen nachvollziehbar. Warum aber die Ausdifferenzierung nach einzelnen Leistungen? Argumentiert wird von den Befürwortern der Regelung meist damit, dass so verhindert werden solle, dass die Vorhaltepauschale Praxen mit zu stark eingeschränktem Angebot nutze und so doch einzelne Leistungen nicht genügend verfügbar wären – daher die Differenzierung und selektive Dotierung einzelner Leistungen wie Schutzimpfungen.
Dass dabei nicht das Angebot honoriert wird, sondern nur die Durchführung, lässt sich mit dieser Logik nicht schlüssig begründen: Es würde ja genügen, wenn Impfangebote existieren.
So argumentierte die KBV noch im November 2024 in ihrer Stellungnahme zum Gesetz:
„Der vorliegende Gesetzentwurf sieht mit der Definition von Leistungen durch den Bewertungsausschuss, die Hausarztpraxen primär durchführen sollten, eine aus Sicht der KBV zwar in der Zielstellung gleiche aber in der Umsetzung entgegengesetzte Systematik vor. Hausarztpraxen würden die Vorhaltepauschale nicht erhalten, sofern sie die zum Kern des hausärztlichen Fachgebietes gehörigen Leistungen zwar durchführen, aber nicht in ausreichendem Maß erfüllen können. Hierdurch entstehen den betreffenden Praxen, obwohl sie dem hausärztlichen Versorgungsauftrag nachkommen, wirtschaftliche Nachteile.“ [1]
Diese sinnvolle Überlegung ist der KBV dann aber in der Folge wohl irgendwie abhanden gekommen. Die Fokussierung auf durchgeführte Behandlungen statt Angebote jedenfalls wirft erhebliche Probleme auf.
Der regulierte Markt „Patient“
Es ist unübersehbar, dass dies einen erheblichen Eingriff in zwei Prinzipien darstellt, die bislang grundlegend für das deutsche Gesundheitswesen waren: die Therapiefreiheit und indirekt auch die gesundheitliche Selbstbestimmung des Patienten.
Ärzte müssen ordentlich wirtschaften. Eine Praxis, die ihrem Betreiber nicht genug Gewinn für eine gesicherte Existenz liefert, ist vielleicht ein „good karma“-Projekt, aber sie wird nicht auf Dauer überleben können. Angesichts des massiven Finanzdrucks auf kleine Praxen muss die Anforderung von mindestens zehn Schutzimpfungen als ökonomisches Druckmittel betrachtet werden.
Therapiefreiheit?
Der Arzt ist aber aufgrund der Regelungen zur ärztlichen Berufsfreiheit und der Bundesärzteordnung (BÄO) verpflichtet, Behandlungen allein von der medizinischen Notwendigkeit abhängig zu machen. Weder finanzielle Anreize noch finanzielle Notwendigkeiten dürfen ihn beeinflussen, in der Sorgfalt der Abwägung, ob eine Behandlung sinnvoll, notwendig und verantwortbar ist, nachzulassen.
Dr. jur. Dirk Schulenburg, Justitiar der Ärztekammer Nordrhein, schreibt zu diesem Konflikt anhand des Beispiels Novellierung des Arzneimittelverordnungswirtschaftlichkeitsgesetzes AVWG von 2006: „Das Wirtschaftlichkeitsgebot führt aber nicht dazu, dass der Arzt berechtigt wäre, den auch vertraglich dem Patienten geschuldeten Sorgfaltsmaßstab („Facharztstandard“) zu unterschreiten. Die Übernahme der Behandlung verpflichtet den Arzt dem Patienten gegenüber zur Sorgfalt nach den Vorschriften des bürgerlichen Vertragsrechts (§75 Abs. 4 SGB V).“ [2]
Wenn Praxen auf die Ausschöpfung der Vorhaltepauschale ökonomisch angewiesen sind oder die betriebswirtschaftlichen Vorteile nutzen wollen, entsteht immer mehr Druck, zu impfen – und diese Entscheidung noch weniger als bislang von individueller Impfberatung und der gesundheitlichen Situation des Patienten abhängig zu machen. Der Arzt wird vom nur am Patientenwohl orientierten Berater zum Verkäufer. „Achtung, Quartalsende – wir müssen noch 87 Impfungen verkaufen bis zum Monatsende!“ – solche internen Nachrichten werden bald in vielen Praxen kursieren.
Welche Überzeugungen und welche Kräfte stecken hinter dieser Entwicklung? Drei Aspekte fallen besonders ins Auge.
„Impfen schützt“
Zum einen natürlich die, wie wir seit vielen Jahren immer wieder beobachten müssen, weitverbreitete naive Ansicht, Impfungen seien unproblematisch Prophylaxe-Maßnahmen, die immer helfen und nie schaden können. Gäbe es in den ärztlichen Standesvertretungen auch nur einen Hauch von kritischer, differenzierter Betrachtung von Impfungen, dann würde man solche Regelungen nicht in dieser Pauschalität vereinbaren. Niemand käme auf die Idee, die Zahl verschriebener Chemotherapien zum Kriterium für Dotierungen von Kliniken zu machen – weil man eben weiß: Das ist eine Einzelfallentscheidung.
Das zeigt, wie erschreckend unwissenschaftlich, evidenzbefreit und naiv die ärztlichen Verbände und die übrigen Akteure des Gesundheitssystems noch denken. Und leider, muss man ergänzen, offenbar auch die Ärzteschaft, die solche Standesvertretungen wählt oder gewähren lässt.
„Wir wissen, was hilft“
Wie beim Impfen so ist auch generell in der Medizin die Einschätzung offenbar weit verbreitet, dass man „objektiv“ sagen könne, was eine sinnvolle Behandlung sei. Die Zahl der Vorgaben (abrechnungstechnischer wie medizinischer Art) für Ärzte wächst und wächst, die Therapiefreiheit und eigenverantwortliche Entscheidung der Ärzte schrumpft. Sind wir auf dem Weg zu einer weitgehenden Normierung ärztlicher Arbeit?
„Impfen nützt“
Der dritte und bedrohlichste Hintergrund erschließt sich, wenn man die klassische „cui bono?“-Frage stellt: Wem nützt es eigentlich, so etwas zu beschließen? Die Abschlags-Regelung stößt sicher auf Wohlwollen bei den Kassen, weil so der einen oder anderen Praxis die Pauschale gekürzt werden wird. Aber die Zuschlags-Regelung? Mehr Geld ausgeben wollen die Kassen nie gern. Was hat aber die Kassenärztliche Vereinigung davon, wenn mehr geimpft wird? Das wissen wir nicht, aber was wir wissen, ist: den Impfstoff-Herstellern passt eine solche Marketingstrategie natürlich gut in den Kram. Und anders als über dubiose PR-Agenturen lancierte Bandenwerbung in Fußballstadien, TV-Spots oder Unterrichtsmaterialien kostet dieser ökonomische Druck sie nicht einmal Geld.
Schlechte Heilungschancen für das Baby
Die Chancen, dass diese bereits parlamentarisch verabschiedete Regelung noch einmal überdacht wird, stehen wohl nicht besonders gut. Dennoch: Der KBV stünde es gut zu Gesicht, diese abstrusen Details der neuen Vorhaltepauschale noch einmal zu problematisieren und auf eine Änderung zu dringen. Das Vertrauen der Patienten in die unvoreingenommene Beratung durch ihren Arzt wäre es wert.
Möglicherweise wird diese Einsicht sich aber erst durchsetzen, wenn einer größeren Zahl an ärztlichen Kollegen (gerade in den Verbänden) deutlich wird, dass „mehr Impfen“ nicht automatisch „mehr Gesundheit“ bedeutet.
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